Alles nur heisse Luft?

Störballons über der Ostschweiz

Seit Wochen sorgen sogenannte «Störballons» für politischen Zündstoff zwischen den USA und China sowie für Schlagzeilen in den Weltmedien. Dabei gibt es Hinweise, dass neben den USA zahlreiche weitere Länder in jüngster Zeit von solchen Störballons überflogen worden sind. Die Schweiz war, soviel man bislang weiss, davon nicht betroffen. Dass dies durchaus nicht immer so gewesen ist, zeigt eine Serie von historischen Fotos der Kantonspolizei, die das Staatsarchiv St.Gallen neu zugänglich gemacht hat.

Störballons zur Zeit des Zweiten Weltkriegs

Die Fotos zeigen mehrere Beispiele von Störballons, die im Jahr 1943 vom Erkennungsdienst der Kantonspolizei dokumentiert worden sind. Der genaue Aufnahmeort ist unbekannt. Das erste Bild zeigt das Beispiel eines in weitgehend intaktem Zustand aufgefundenen Störballons englischer Herkunft. Dieser war nicht nur mit einem Höhenreguliergefäss, sondern auch mit einem Draht ausgestattet, der gemäss polizeilicher Einschätzung zur Verursachung eines Kurzschlusses an Starkstromleitungen, also zu Sabotagezwecken, dienen sollte. Auf einer zweiten Aufnahme ist die abgebrannte Hülle eines anderen Ballons abgebildet, dessen Höhenreguliergefäss mit einem Glühzünder zur Verursachung von Bränden verbunden war. Bei beiden Ballonen ist davon auszugehen, dass sie für Ziele in Deutschland bestimmt waren, dann aber über die Schweizer Grenze abgetrieben worden sind. Möglicherweise bewusst Richtung Schweiz entsendet worden ist hingegen das dritte Beispiel, das einen Ballon mit Propagandamaterial deutscher Herkunft zeigt. Dieses war als verschnürtes Paket unten am Ballon angehängt. Eine Uhr mit tempierter Abfallvorrichtung sollte dafür sorgen, dass die Fracht zur richtigen Zeit am richtigen Ort ihr Ziel erreichte.

«Achtung, Gefahr!»

Bei den obigen Beispielen von Ballons, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in feindlicher Absicht eingesetzt worden sind, dürfte es sich kaum um Einzelfälle gehandelt haben. Dies zeigen mehrere Einträge im «Mitteilungsblatt des Polizeikommandos des Kantons St.Gallen», die im Zeitraum zwischen 1942 und 1944 nachgewiesen sind. So hatte das kantonale Polizeikommando, gestützt auf entsprechende Hinweise der Bundesbehörden, seine Korpsangehörigen bereits am 31. Oktober 1942 ein erstes Mal auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die von ausländischen Störballons ausgehe: «In letzter Zeit wurden unbemannte, kleine Ballons ausländischer Herkunft auf Schweizergebiet abgetrieben. Sie dienen u.a. dazu, branderzeugende Gegenstände auf beträchtliche Entfernungen zu tragen und niedergehen zu lassen». Die Bevölkerung wurde deshalb aufgefordert, diesbezüglich aufmerksam zu sein und gleichzeitig beim Auffinden solcher Ballons «äusserste Vorsicht walten zu lassen». Ausserdem sei unverzüglich der nächste Polizeiposten zu informieren, der seinerseits sofort das Polizeikommando über den Fund zu verständigen habe.

Der Erkennungsdienst der Kantonspolizei als fototechnisches Kompetenzzentrum

Während die Tatsache, dass die obigen Fotos bis heute erhalten geblieben sind, ein Stück weit dem Zufall geschuldet ist, ist ihre Provenienz, der Erkennungsdienst der Kantonspolizei, keineswegs bloss dem Zufall entsprungen. Dieser seit den frühen 1920er Jahren aufgebaute Dienstzweig der Kantonspolizei hatte sich nämlich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs längst als eigentliches fototechnisches Kompetenzzentrum etabliert. Basierend auf den rasanten Entwicklungen in Wissenschaft und Technik hatte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die moderne Kriminalistik Einzug in den kantonalen Polizeikorps gehalten, so auch in St.Gallen. Im Gefolge davon entwickelte sich das «Photographiewesen» immer mehr zum Standard in der polizeilichen Spurensicherung. So gehen die ältesten fotografischen Aufnahmen, die sich für die Kantonspolizei St.Gallen nachweisen lassen, auf die Zeit der Jahrhundertwende zurück. Ende 1915 richtete die Kantonspolizei dann im Dachstock der Hauptwache im Klosterhof, gleich neben dem Schlafsaal der Landjäger, ein erstes Fotostudio samt Dunkelkammer ein, in dem fortan Fotos entwickelt und vergrössert werden konnten. Fotos kommt bis heute eine grosse Bedeutung zu bei der polizeilichen Dokumentation von Personen, Ereignisorten oder Beweismaterial.

Quellen

A 515/2.01-2.3

A 600/3.2.5-7.01

A 600/3.3.007a-1

A 635/3.1-1.01

ZA 179, Jg. 1941-1946

Literatur

Regula Zürcher: Fotoarchive der anderen Art. Ein Werkstattbericht aus dem Staatsarchiv St.Gallen, in: Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen, 159 (2019), S. 12-27

Martin Jäger, Staatsarchiv St.Gallen

Februar 2023

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