Mister Cooper im Kanton St.Gallen

Mit James Fenimore Cooper, Autor des "Lederstrumpf", auf Reisen
Die Schweiz als Reiseziel

Von Juni bis Oktober geniesst Familie Schweizer ein- oder mehrmals Ferien. Vielleicht auch im eigenen Land? Angesichts der Klimadebatte vorstellbar. Eine Möglichkeit, Regionen vor der Haustür (neu) zu entdecken, bieten alte Reiseführer und vor allem Reiseberichte. Landschaften und Städte entfalten in den Darstellungen von Besucherinnen und Besuchern des späten 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts einen besonderen Charme und bieten neue Perspektiven auf vermeintlich Altbekanntes.

Vielfach geht es in den Berichten nicht nur um Gebirge oder Bauwerke. Es kommt Volkskultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte und vieles mehr zur Sprache. Die Schweiz war für die frühen Reisenden ein fast exotisches Reiseziel. Oft wird von sehr persönlichen Erlebnissen erzählt. War der Reisende gar ein Dichter oder eine Dichterin, fanden die besuchten Ortschaften, Seen oder Berge ihren Weg in Romane oder Gedichte. Eine Alpenreise inspirierte zum Beispiel den polnischen Dichter Slowacki zum 1839 erschienen Gedicht «W Szwajcarii» («In der Schweiz»).

Engländer und ein Amerikaner namens Cooper

Die angelsächsische Reiseliteratur beansprucht einen hervorragenden Platz. Dass die Schweiz von den Briten touristisch «entdeckt» wurde, ist vielleicht überzogen, jedoch nicht völlig falsch. Denken wir an einen Mann wie Lord Byron oder eine Frau wie Mary Shelley («Frankenstein»). Sogar einige Amerikaner erkundeten früh unser Land. Einer der berühmtesten war Mark Twain – in Begleitung seines unverwechselbaren Humors. Die Ostschweiz stand bei englischsprachigen Besucherinnen und Besuchern weniger hoch im Kurs als etwa der Genfer See oder das Berner Oberland.

Dennoch finden sich Zeugnisse des frühen angelsächsischen Tourismus. Eine bedeutende Persönlichkeit der amerikanischen Literatur, James Fenimore Cooper (1789-1851)3, bereiste und beschrieb - im Rahmen seiner zwei Aufenthalte in der Schweiz in den Jahren 1828 und 1832 - unter anderem den Kanton St.Gallen. Cooper, Autor der bis heute bekannten «Lederstrumpf»-Romane, war Literat von Weltrang. Schriftstellerisch war er ebenso erfolgreich wie vielseitig begabt. Sein Schaffen, beeinflusst vom schottischen Romantiker Sir Walter Scott, wurde von Goethe oder Balzac geschätzt. Mit dem polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz, der sich zeitweise ebenfalls in der Schweiz aufhielt, war er freundschaftlich verbunden.

Cooper gehörte der wohlhabenden, Land besitzenden Oberschicht des Bundesstaates New York an und verheiratete sich entsprechend. Cooperstown, in der Mitte des Staats gelegen, erinnert bis heute an die Familie mit Quäker-Wurzeln. Obschon ganz im Osten der USA, grenzte die Gegend damals ans «Indianerland» (Frontier). Cooper genoss eine naturverbundene Kindheit. Nach schulischer Ausbildung fuhr er einige Zeit zur See. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und der Zufall führten ihn zur Schriftstellerei. Seine Werke brachten nicht nur den Europäern Amerika sondern auch den Amerikanern Europa näher. Im Vergleich der beiden Welten schnitten die Vereinigten Staaten bei Cooper meist besser ab – frei nach Goethe: «Amerika, Du hast es besser (…)». Später, während der Präsidentschaft von Jackson, ging der traditionsbewusste Cooper hingegen auf Distanz zu den Entwicklungen seiner Heimat. Er wandelte sich zum Ultrakonservativen mit durchaus kontroversen politischen Ansichten.

In der Lebensmitte verbrachte Cooper einige Jahre in Europa und unternahm ausgedehnte Reisen. Darunter waren zwei Aufenthalte in der Schweiz (1828 und 1832), während derer er mehrere Exkursionen in verschiedene Landesteile unternahm. Begleitet wurde er von Familienangehörigen und Führern.

Mit Cooper durch den Kanton St.Gallen

Im Jahr 1836 erschienen Coopers Reiseerlebnisse in der Schweiz auf Deutsch in zwei Bänden unter dem Titel «Ausflüge in die Schweiz». Das Staatsarchiv des Kantons St.Gallen hat die Publikationen jüngst erworben.

Hochsommer des Jahrs 1828: Cooper betrat, von Frankreich kommend, erstmals helvetischen Boden. Über Neuenburg reiste er nach Bern, der historisch bestimmenden Macht der Eidgenossenschaft. Die spätere Bundesstadt wurde für den Amerikaner zum Ausgangspunkt etlicher Erkundungen. Im Gepäck führte er die «Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz» des bekannten deutschen Reiseschriftstellers Johann Gottfried Ebel (1764 bis 1830) mit. An Ebels Werk, weiterer Literatur und Karten orientierte sich Cooper. Seine Ausflüge durch die Eidgenossenschaft glichen wahren Leistungs«märschen», wobei er neben Pferdestärke und Schiff auch Schusters Rappen rege nutze. Er muss jedenfalls von guter körperlicher Fitness gewesen sein – ganz wie die Pioniere seiner Abenteuerromane.

Cooper hatte nicht nur Augen für majestätische Bergwelten. Wach nahm er auch die Bauweise der Häuser – von den Hütten über die Schlösser bis zu den Türmen unserer Kirchen wahr. Seiner Auffassung nach glichen manche Rheintaler Kirchtürme mit ihren Hauben Minaretten [NB: Von einer entsprechenden Volksinitiative 180 Jahre später war man natürlich weit entfernt]! Zudem interessierte er sich für die sozialen und politischen Verhältnisse und kommentierte Begegnungen mit Einheimischen oder anderen Reisenden. Er, den man nicht selten für einen Engländer hielt, und den die Schweizer/innen oft nicht weniger bestaunten als er sie, war im Urteilen nicht immer rücksichtsvoll.

Obwohl die Schweiz insgesamt und besonders ihre landschaftlichen Gegebenheiten Cooper zusagten, war nicht alles nach seinem Geschmack – auch nicht in der Ostschweiz und im Kanton St.Gallen. Diesen jungen Kanton mit seinen damals stolzen 130'000 Einwohnerinnen und Einwohnern bezeichnete Cooper als einen führenden Staat innerhalb der Eidgenossenschaft. St.Gallens florierende Textilproduktion stand in regem Austausch mit Amerika. Sie prägte mit ihren zahlreichen Manufakturen und Bleichen unsere Orte und Landschaften und erregte Coopers Interesse. Doch zurück zur Kritik: Der bei der Hinreise in unseren Kanton besuchte Rheinfall mochte Cooper wenig zu beeindrucken: Warum baute man keinen Kanal um diese Felsen? Damit könnte die Ostschweiz doch ans globale Verkehrsnetz angebunden werden! Beim Besuch von Rheineck erging sich Cooper ohne erkenntlichen Grund in einer wahren Tirade über den unseligen Krämergeist. Das auch im Kanton St.Gallen vorhandenen Bettelwesen missfiel ihm. Das Wort «Bitti», das Kinder dem Reisenden zuriefen, interpretierte er als «Pitty». Ein Irrtum, wie er später erkannte. Auf seiner zweiten Exkursion ins St.Galler Land, die ihn auf den Wallenstädter See (Walensee) führte, pries er dessen Reiz. Manche zögen ihn diesbezüglich gar dem Vierwaldstättersee vor! Gleichzeitig bemängelt er, dass die Gebirgsbewohner – solches waren für ihn die Schweizer schlechthin – die Gefahren dieses Gewässers mittels umständlicher Routenführung der Boote parierten anstatt durch den Bau tauglicher Schiffe. Zudem vermutete er eine künftige Versumpfung weiter Teile der Region und sah das Risiko, dass der Rhein sich eines Tages nicht mehr über das st.gallische Rheintal sondern via Walensee-Zürichsee Bahn brechen könnte.

Bei aller Eile - Cooper hatten den Anspruch, viel zu sehen - nahm sich der Autor doch Zeit für Beobachtungen der Landschaften. Rorschach, wo der ehemalige Seemann ein modernes Dampfboot bewunderte, lag für ihn prachtvoll am Abhang hoher Hügel, ja Berge, die mit Schlössern geschmückt waren. Cooper mutmasste später, dass in Europa wohl bald alle Schlossanlagen von Wohn- zu Produktionsstätten umgewandelt werden dürften, so wie es der Burg Iberg ob Wattwil ergangen war.

Die Aussicht vom Stoss ins Rheintal entzückte ihn ebenso wie der Blick vom Ricken zum Zürichsee oder die Landschaft der ehemaligen Grafschaft Toggenburg. Sie hatte einfach das Pech, als Konkurrenten einen derart schönen Nachbarn wie das Appenzellerland zu haben. Beim atemberaubenden Ausblick, der sich Cooper in der Nähe von Ragaz bot, erging sich der Literat in ausführlichen Erörterungen über den Aufbau der Alpenketten. Hier machte er die Leserschaft auf ein Stück Deutschland aufmerksam: das Fürstentum Liechtenstein. Das 5000-Seelen Land kenne kaum jemand – auch Schweizer wüssten wenig darüber.

Und was meinte Cooper zu unserer Kantonshauptstadt? Nun, die noch recht neue Kräzern-Brücke, damals ausserhalb der Stadt, hätte gemäss Cooper in das edle Umland von Paris gepasst. St.Gallen fand er niedlich, freundlich und heiter. Die Stadt sei von Wohlstand und einer Geschäftstüchtigkeit geprägt, die alle anderen Schweizer Städte, sogar Bern, hinter sich lasse! Die Pracht der gut unterhaltenen Domkirche, damals Co-Kathedrale des Doppelbistums Chur-St.Gallen, stand für ihn im Gegensatz zu den verödeten Gebäuden des aufgelassenen Gallusklosters.

Natürlich berichtete Cooper seiner Leserschaft über die klösterliche (Kultur-)Geschichte und über die Jahrhunderte der Kämpfe zwischen Fürstabt und Stadt. Allerdings waren dem strengen Protestanten Mönche wohl nicht die liebsten Zeitgenossen. Die St.Galler Mönche der Vergangenheit nannte er leicht sarkastisch «heilige Eheverächter». Man habe sie durch Errichten der Schiedmauer zwischen Stift und Reichsstadt davon abhalten müssen, sich nachts in der Stadt herumzutreiben! Noch ärger erging es einem leibhaftigen Benediktiner des noch nicht aufgelösten Klosters Pfäfers, dem er in den unheimlichen Gewölben von Bad Pfäfers begegnete: Sich der amerikanischen, antikatholischen Schauergeschichten seiner Kindheit erinnernd, musste Cooper sich dazu «zwingen», nicht nach teuflischen Bocksfüssen unter der Kutte des geistlichen Herrn Ausschau zu halten. Immerhin scheinen solche Kommentare nicht ganz ernst gemeint. Andernorts finden sich jedenfalls Passagen, in denen der Autor dem römischen Katholizismus mehr Wohlwollen entgegenbringt. Indessen war der Besuch der Taminaschlucht ein voller Erfolg. Einerseits zeigte sich Cooper von der ausserordentlichen Natur der Klamm sehr beeindruckt. Dann aber sollte das Thermalwasser an ihm seine Wunderkraft erweisen. Im Rahmen eines Bades wurde er die Flöhe los, die ihn des nachts so gequält hatten. Natürlich liess es sich Cooper nicht nehmen, darauf hinzuweisen, die Tierchen hätten ihm fromme Pilger nach seiner Übernachtung im Marienwallfahrtsort Einsiedeln mitgegeben.

Coopers Ausflüge in den Kanton St.Gallen (Überblick)

Die erste Exkursion (1828) führte Cooper ausgehend von Bern über Konstanz - Steinach – Rorschach – Rheineck – Altstätten – Stoss – Gais – Teufen – St.Gallen – Herisau – Wattwil – Ricken nach Rapperswil, wo er den Kanton in Richtung Zürich verliess.

Bei der zweiten Exkursion, ebenfalls während seines ersten Aufenthalts (1828), reiste Cooper von Einsiedeln herkommend, von Weesen bis Bad Ragaz durch den Kanton. Er verliess ihn in Richtung Graubünden.

Zum dritten Mal kam Cooper im Rahmen seines zweiten Schweizaufenthalts (1832) in den Kanton St.Gallen, allerdings nur nach Rapperswil. Dabei nächtigte er – schon zum zweiten Mal - im «Pfauen».

Literatur

Vorliegender Beitrag basiert auf: James Fenimore Cooper: Ausflüge in die Schweiz. Erster Theil & Zweiter Theil. Frankfurt am Main, 1836.
https://de.wikipedia.org/wiki/James_Fenimore_Cooper

Schmidt, Aurel: Lederstrumpf in der Schweiz. […]. Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2002. 304 Seiten.
Halter, Martin: Lederstrumpf auf der Blüemlisalp. In: Tagesanzeiger 17.2.2015.

Stefan Gemperli, Staatsarchivar

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