Appelle, Tipps und 5'000 Thermometer

Energiesparen im Kanton St.Gallen in den 1970er Jahren

«Krieg» und «Energieknappheit»: zwei Themen, die zum Jahreswechsel 2022/2023 allgegenwärtig sind. Wie ein aus den Jahren 1977 bis 1987 stammender Bestand aus dem ehemaligen Amt für Wasser- und Energiewirtschaft (AWE) zeigt, den das Staatsarchiv neu erschlossen hat, bestanden zwischen den beiden Themen allerdings schon früher in der Geschichte enge Zusammenhänge – mit Auswirkungen, die auch damals bis hierzulande spürbar waren.

Vom Angriffskrieg zur Erdölkrise

Im Oktober 1973 starteten Syrien und Ägypten einen Überraschungsangriff auf den damals noch jungen Staat Israel. Ihr Ziel war es, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel zurückzugewinnen, die im Sechstagekrieg 1967 an Israel verloren gegangen waren. Nach anfänglichen Erfolgen der arabischen Allianz gewann die israelische Armee schliesslich die Oberhand. Als Reaktion darauf beschloss die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder), die Erdölförderung zu verringern, um dadurch den Westen von seiner Unterstützung für Israel abzubringen.

Die Entwicklungen im Nahen Osten wirkten sich in Form einer akuten Versorgungskrise auf dem Heizöl- und Treibstoffmarkt rasch auf die Schweiz aus, auch auf den Kanton St.Gallen. In Reaktion darauf erliess der Regierungsrat vorerst für den Winter 1973/74 verschiedene Energiesparmassnahmen, so auch für die kantonale Verwaltung. Die Versorgungslage blieb aber auch in den Folgejahren «ungewiss» und die Finanzlage des Staates «angespannt», wie es in einem Bericht des Baudepartements aus dem September 1977 hiess. Der Regierungsrat beschloss deshalb, die Sparmassnahmen aus den Vorjahren fortzuführen. In den Verwaltungsgebäuden galt damit eine maximale Raumtemperatur von 20° C, mit einer weiteren Absenkung der Temperatur über Nacht. Zusätzlich wurde die Benutzung privater Heizkörper untersagt. In der Begründung wies das Baudepartement auch darauf hin, dass man in den Vorjahren durch die Sparmassnahmen signifikante Einsparungen im Staatshaushalt habe machen können. Und schliesslich leiste man so einen Beitrag zum Umweltschutz.

«Jetzt handeln»: Die kantonale Energiepolitik auf dem Prüfstand

Gegen Ende der 1970er Jahre gingen die bei Bund und Kanton zuständigen Behörden dazu über, die Energiefrage in grundsätzlicher Art anzugehen. So hatte eine eidgenössische Kommission im Jahr 1978 in der sog. «Gesamtenergiekonzeption (GEK)» die Grundlagen der künftigen Energiepolitik in der Schweiz skizziert. Als Empfehlung an die Kantone hiess es darin: «Nicht auf den Bund warten – handeln». So entschloss sich denn auch der Kanton St.Gallen, von sich aus aktiv zu werden. Einen ersten Schritt in diese Richtung tat man mit einem Bericht über energiepolitische Massnahmen im Kanton, den das Amt für Wasser- und Energiewirtschaft im Jahr 1979 bei der Firma Elektrowatt Ingenieurunternehmung AG (EWI) in Auftrag gegeben hatte und der an die genannte Gesamtkonzeption des Bundes anknüpfte. In der Einleitung des Berichts wurde auf die deutlich erhöhte Relevanz der Energieversorgung verwiesen. Die Ölpreissteigerung Anfang des Jahres 1979 habe «die Gefahren einer weitgehenden einseitigen Abhängigkeit vom Energieträger Öl» gezeigt. Man ging von einem weiteren Steigen der Ölpreise aus und warnte zugleich vor den Folgen einer weiteren Zunahme der Emissionen für die Umwelt. Aus diesen Gründen müssten «rechtzeitig Schritte für eine notwendige Änderung der Versorgungsstruktur unternommen werden». Der Bericht der EWI enthielt eine Darstellung des damaligen kantonalen Energiebedarfs sowie der Probleme und Zielsetzungen im Energiebereich. Des Weiteren wurde ein Massnahmenkatalog vorgeschlagen und aus technischer, volkswirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Sicht beurteilt.

Bemerkenswert: Im letzten Kapitel des Berichts wird vom Kanton eine klare Formulierung seines politischen Willens gefordert. Oft sei es nämlich in der Vergangenheit in Sachen Energieversorgung und Umweltschutz bei reinen Lippenbekenntnissen geblieben. Es wurde gemahnt, keine Zeit mehr zu verlieren. Die anstehende Diskussion um die Ausarbeitung eines langfristigen Leitbilds solle der Einleitung von Sofortmassnahmen nicht im Weg stehen.

Energiesparen im Alltag

Auf der Suche nach konkreten Massnahmen nahm man im AWE offensichtlich auch Empfehlungen von privaten Interessenorganisationen zur Kenntnis. So ist in den damaligen Amtsakten eine Ausgabe des «Panda», der Zeitschrift des WWF Schweiz, aus dem Jahr 1977 enthalten. Darin wurde das Energiesparen zum zentralen Bestandteil einer umweltgerechten Energiepolitik erklärt und gleichzeitig vor den Folgen der ständigen Zunahme des Energieverbrauchs für die Umwelt gewarnt. Bewegungsarmut und Umweltverschmutzung würden der Gesundheit des Menschen schaden. Die Broschüre listete in der Folge in Wort und Bild konkrete Energiespartipps für den Alltag auf. So wurde der Bevölkerung beispielsweise dazu geraten, Waschmaschine und Geschirrspüler nur im gut gefüllten Zustand laufen zu lassen und für die Raumbeleuchtung Fluoreszenzröhren statt Glühbirnen zu verwenden.

Auch die Gemeinden in der Pflicht

Am 27. August 1981 hielt Alexis Brasseur, der Vorsteher des AWE, ein Referat auf einer Tagung für Gemeindepolitiker. Zentrales Thema war einmal mehr das Energiesparen. Brasseur musste ernüchtert konstatieren, dass die Zahlen beim Energieverbrauch nach wie vor stiegen. Er kritisierte, dass zwar viele die Notwendigkeit einer sparsameren und nachhaltigeren Energiepolitik erkannt hätten, sich jedoch kaum jemand dieser Erkenntnis entsprechend verhalte. Alle Warnrufe seien verhallt und nichts sei erreicht worden. In sechs Stichpunkten fasste er die kantonale Energiepolitik zusammen. Dabei nahm der Amtsleiter auch die Gemeinden in die Pflicht. Diese müssten bei Fragen in Sachen Energieverbrach die primären Anlaufstellen für die Bürger sein. Fachkundige und kostenlose Beratungen seien wichtig, da es auf diesem Gebiet «eine Unmenge von Scharlatanen, welche im Trüben fischen» gebe. Ausserdem sei es wünschenswert, dass die Gemeinden mit Sparmassnahmen in öffentlichen Gebäuden als Vorbild vorangingen.

Erfolgskontrolle durch kantonale Sparthermometer

Natürlich hatte die kantonale Verwaltung bei den Bemühungen zum Energiesparen mit gutem Beispiel voranzugehen. Die eingangs erwähnten Sparmassnahmen in kantonalen Gebäuden wurden deshalb auch Anfang der 1980er Jahre fortgeführt, wobei gemäss Dienstanweisung zur Kontrolle der Raumtemperaturen Thermometer anzubringen waren. Eine Prüfung durch das Eidgenössische Amt für Messwesen ergab dann allerdings, dass viele der beim Hochbauamt vorhandenen Thermometer zu ungenau waren; im Einzelfall wurden Temperaturabweichungen von bis zu 4° C festgestellt. Das Baudepartement empfahl daher die Anschaffung neuer, geprüfter Thermometer. Bei einer Zürcher Firma bestellte man für insgesamt 30'000 Franken 5’000 Thermometer, die darauf unentgeltlich beim AWE bezogen werden konnten.

Inwiefern diese Thermometer in der Folge die gewünschte Wirkung erzielten oder wenigstens zur Sensibilisierung der Kantonsmitarbeitenden für das Anliegen des Energiesparens beigetragen haben, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass uns das Problem der Energieabhängigkeit und die Frage nach dem Verhältnis von Energieverbrauch und Umweltschutz bis heute beschäftigen.

Quellen

A 655/6.25.1

A 160/06604a-1

ARR B 2-1981-0110

Literatur

Gisler, Monika: Wie ging die Schweiz mit der Ölkrise um 1973?, 10.10.2022. <Wie ging die Schweiz mit der Ölkrise 1973 um? - SWI swissinfo.ch> [Stand: 22.12.2022].

Flurin Alder / Martin Jäger, Staatsarchiv St.Gallen

Januar 2023

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