Demokratische und Arbeiterpartei des Kantons St.Gallen
Titel
Demokratische und Arbeiterpartei des Kantons St.Gallen
Signatur
W 001
Stufe
Bestand
Entstehungszeitraum
1888-1947
Archivalienart
Dokument , Bild
Ausprägung
analog
Laufmeter
1.00
Enthält
Parteigeschichte:
Die Demokratische und Arbeiterpartei des Kantons St.Gallen wurde 1888 vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine Totalrevision der Kantonsverfassung als «linke» Abspaltung der liberalen (ab 1912: freisinnig-demokratischen) Partei gegründet. Getreu ihrer Selbstbezeichnung setzten sich die Demokraten einerseits für einen Ausbau der Volksrechte (u.a. Wahl des Kantonsparlaments gemäss Proporz sowie Einführung der Volkswahl von Regierungs-, Stände- und gar Bundesräten) sowie andererseits v.a. auch ein stärkeres Engagement des Staates in der Sozialpolitik ein. Entsprechend ihrer inhaltlichen Positionierung suchte die Demokratische Partei je nach Thema eine Zusammenarbeit sowohl mit dem sozialdemokratischen, liberalen als auch konservativen Lager. Geradezu sprichwörtlich wurde die Kooperation der Demokraten mit den Katholisch-Konservativen (sogenannte «Allianz»), besonders beim Ausbau der direkten Demokratie. Gleichzeitig grenzten sich die Demokraten von ihren parteipolitischen Konkurrentinnen ab, indem etwa die aus ihrer Sicht unschweizerische revolutionär-utopische Weltanschauung der Sozialisten, die Vermengung von Staat und Kirche bei den Konservativen oder die ablehnende Haltung der als «Partei des Besitzes» bezeichneten Liberalen gegenüber direktdemokratischen und sozialpolitischen Reformen kritisiert wurde.
Im Kanton St.Gallen verlor die Demokratische Partei, die zeitweise mit prominenten Persönlichkeiten in Regierung und Parlamenten vertreten war (siehe unten), nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend an Einfluss. Zentrale demokratiepolitische Forderungen waren erfüllt, als Vertretung der Arbeiterschaft erwuchs den Demokraten mit dem Erstarken der ab 1905 auch im Kanton St.Gallen vertretenen Sozialdemokratischen Partei eine immer stärkere Konkurrenz – und die 1912 nun auch sozusagen dem Namen nach gegründete FDP St.Gallen erhob zunehmend den Anspruch, als Volkspartei der Mitte ein Bollwerk gegen Reaktion (Konservativismus, Faschismus) und Revolution (Sozialismus, Kommunismus) zu bilden. Mitte der 1920er-Jahre spaltete sich die Partei, 1930 ging der Regierungsratssitz der Demokraten an die Sozialdemokraten. Der letzte Kantonsrat (1927-1936) und Kantonalpräsident (ab 1929) der Demokratischen und Arbeiterpartei, der Postbeamte Jean Schwarz, verpasste 1936 als Kandidat des sogenannten «Bundes freier Demokraten» die Wiederwahl und zog sich aus der Politik zurück.
Prominente Vertreter:
Friedrich Bernet (1829-1872):
1854-1871 Redaktor der radikal-liberalen St.Galler Zeitung
1863 Gründung der sog. «Jungen Schule», einer Vereinigung von Liberalen, die sich für eine Totalrevision der Bundesverfassung von 1848 einsetzten, und damit ein zentraler Wegbereiter der Demokratischen Partei
1869-1872 Präsident des Schweizerischen Grütlivereins
1864-1869 Nationalrat
Theodor Curti (1848-1914):
1871-1873 Redaktor der radikal-liberalen St.Galler-Zeitung als Nachfolger von Friedrich Bernet (siehe oben)
1887 Zusammen mit Herman Greulich, Heinrich Scherrer (siehe unten) und Caspar Decurtins Mitbegründer des (Neuen) Schweizerischen Arbeiterbundes
1890-1896 Nationalrat (Kanton Zürich)
1891-1894 Kantonsrat (Kanton Zürich)
1894-1902 Regierungsrat (Kanton St.Gallen, Volkswirtschaft)
1899 Mitbegründung der HSG (ab 1995 Universität St.Gallen)
1896-1902 Nationalrat (Kanton St.Gallen)
1902 Veröffentlichung der «Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert»
1873-1879/ Redaktor und Leiter der Frankfurter Zeitung (ab 1902 war Theodor Curti auch deutscher Staatsbürger)
1902-1914
Adolf Grubenmann (1840-1929):
1874 Eröffnung einer homöopathischen Arztpraxis in St.Gallen (zuvor in Teufen); als Kantons- und Nationalrat ausgesprochener Kritiker behördlich verordneter Impfungen und speziell des Bundesgesetzes gegen
gemeingefährliche Epidemien von 1882
1884-1886 Kantonsrat
1884-1890 Nationalrat
Heinrich Scherrer (1847-1919):
1875-1902 Tätigkeit als Anwalt in St.Gallen
1882-1890 Präsident des Schweizerischen Grütlivereins
1887 Zusammen mit Herman Greulich, Theodor Curti (siehe oben) und Caspar Decurtins Mitbegründer des (Neuen) Schweizerischen Arbeiterbundes
1888 Mitbegründer der Demokratischen und Arbeiterpartei des Kantons St.Gallen
1889-1902 Erziehungsrat
1891-1902 Kantonsrat
1902-1919 Regierungsrat (Volkswirtschaft, Erziehung)
1905 Beitritt zur neu gegründeten SP des Kantons St.Gallen
1902-1911 Nationalrat
1911-1919 Ständerat
Joseph Anton Scherrer (1847-1924):
1886-1891 Tätigkeit als Anwalt in St.Gallen
1889-1890 Verfassungsrat
1890-1922 Nationalrat
1891-1894 Regierungsrat (Justiz)
1895-1921 Kantonsrat
1902-1922 Mitglied des Rates der Interparlamentarischen Union und Gründungspräsident von deren schweizerischer Sektion
1904-1919 Parteipräsident
Otto Weber (1872-1962):
1896-1920 Redaktor beim demokratisch eingestellten St.Galler Stadt-Anzeiger
1900-1920 Kantonsrat
1911-1928 Nationalrat
1915-1920 Präsident des Föderativverbands eidgenössischer Beamter, Angestellter und Arbeiter
1920-1930 Regierungsrat (Erziehung)
1920-1923 Parteipräsident
Bestandesgeschichte:
Das genaue Eingangsdatum ist unbekannt. Es lässt sich lediglich rekonstruieren, dass die Unterlagen der in den 1930er-Jahren aufgelösten Partei (siehe Parteigeschichte) 1944 ins Staatsarchiv gelangten (vgl. Jahresbericht des Staatsarchivs im Amtsbericht der Regierung von 1944, S. 83), was einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod des letzten demokratischen Parteipräsidenten Jean Schwarz im Oktober 1944 nahelegt.
Form und Inhalt:
Die eigentliche Partei ist im Archivbestand lediglich mit Unterlagen der Kantonalpartei, der Bezirkspartei St.Gallen sowie der beiden Sektionen Tablat und Straubenzell dokumentiert. Wie die Unterlagen der Arbeiterunion Toggenburg («Arbeitervereine, Toggenburg») und des st.gallisch-appenzellischen Verbands der Grütlivereine (nebst den beiden Ortssektionen Lichtensteig-Bütschwil und Tablat) konkret in den Bestand W 001 gelangt sind, lässt sich nicht mehr genau eruieren. Auch wenn Vorläufer und Exponenten der Demokratischen und Arbeiterpartei wie Friedrich Bernet und Heinrich Scherrer immer wieder eine zentrale Rolle im Grütliverein gespielt haben, können die beiden Organisationen dennoch nicht einfach gleichgesetzt werden – so beantragte etwa die bereits erwähnte Arbeiterunion Toggenburg 1910 die Aufnahme in die Sozialdemokratische Partei des Kantons St.Gallen, während der Schweizerische Grütliverein bereits 1901 mit der SP Schweiz fusioniert hatte (wenn er auch vorerst seine organisatorische Eigenständigkeit behielt).
Ausser einer einzelnen Fotografie (W 001/3.12.2) und einem bei der Erschliessung des Bestandes W 353 ergänzten Wahlplakat der Demokratischen Partei des Kantons Zürich enthält das Parteiarchiv W 001 ausschliesslich Papierunterlagen – zumeist Protokolle und Korrespondenz sowie Berichte, Abrechnungen und Werbematerial. Lückenhaft ist der Bestand darüber hinaus nicht nur hinsichtlich der überlieferten Sektionen – so sind aussagekräftige Kerndokumente wie Organisationsgrundlagen, Protokolle und Jahresberichte (d.h. auch diejenigen der Sektionen) der Kantonalpartei erst ab 1913 und nur bis 1932 erhalten, obwohl die Partei bereits 1888 gegründet wurde und noch bis Mitte der 1930er Bestand hatte.
Bewertung und Kassation:
Nach welchen Kriterien die Unterlagen vor oder nach der Ablieferung bewertet wurden, lässt sich nicht mehr feststellen.
Darin
1 Fotografie: Porträt unbekannter Frau, möglicherweise Dr. Marie Huber-Blumberg (1881-1963), Ehefrau von Johannes Huber, Anwalt und SP-Kantons- und Nationalrat aus Rorschach
Anmerkung
genaues Eingangsdatum unbekannt, der Bestand gelangte nach der Auflösung der Partei 1944 ins Staatsarchiv St.Gallen (vgl. Jahresbericht des Staatsarchivs im Amtsbericht der Regierung von 1944, S. 83)
siehe maschinenschriftliches Detail-Verzeichnis
Schutzfrist
Zeitraumende
Schutzfristdauer
30 Jahre
Schutzfristkategorie
Sachakten (30 Jahre)
Ende der Schutzfrist
12/31/1977
Bewilligung
Staatsarchiv
Zugänglichkeit
Archivmitarbeiter/-innen
Physische Benutzbarkeit
Erschwert möglich