Solidarität mit dem griechischen Freiheitskampf
«Indess haben die heldenmüthigen Griechen schon Wunder von Tapferkeit gethan, und einen kleinen Teil ihres Vaterlands bereits befreit» – ein Rückblick auf einen Freiheitskampf vor 200 Jahren
Geschichte wiederholt sich nicht. Manchmal kann jedoch ein Blick in die Vergangenheit zu spannenden Entdeckungen führen, die einen wiederum über die Aktualität nachdenken lassen. Das nachfolgende Beispiel zeigt auf, wie Menschen in früherer Zeit auf einen Krieg in der europäischen Nachbarschaft reagiert haben.
Derzeit ist der Freiheitskampf der Ukraine in aller Munde und dominiert die Medienberichterstattung. In weiten Teilen der St.Galler Bevölkerung drückt sich die Betroffenheit mit den notleidenden Ukrainerinnen und Ukrainern in unterschiedlichsten Formen und über mannigfaltige Solidaritätsaktionen aus.
Vor 200 Jahren war das ähnlich. Damals begann der Unabhängigkeitskampf der Griechen gegen das Osmanische Reich (heute Türkei), das Griechenland seit dem Fall von Konstantinopel (heute Istanbul) im Jahr 1453 beherrscht hatte. Auch dieser Konflikt bewegte die Menschen in unserem Land. Rasch bildeten sich in verschiedenen Städten in der ganzen Schweiz Vereine, welche die Freiheitsbemühungen der Griechen in ideeller und materieller Art unterstützten.
Ein Originaldokument aus dem Staatsarchiv zeigt exemplarisch die Gründung des St.Galler Griechenvereins im Jahr 1822 an. Wie die folgenden Zeilen illustrieren, sparte man bei der zeittypischen Darstellung des Kampfes nicht an Pathos und markigen Ausdrücken.
Nach der obigen Konfliktdarstellung in harschen Worten folgte die Aufforderung zur Spende für die «Rettung, Befreiung, Veredlung und Wohlfahrt dieses Volkes», damit jeder zeigen könne, «[…] dass auch er die unglücklichen, tapferen Griechen habe retten wollen». Und weiter hiess es: «Zu ihrer Rettung gegen übermächtige Gewalt schreien sie zu ihren christlichen Brüdern um Hülfe, und manche Unterstützung im Kleinen ist ihnen schon [zu Teil] geworden. Täglich mehrt sich die Zahl edler, christlicher Menschenfreunde, die nur einen sicheren Kanal wünschten, um den höchstbedrängten Brüdern einen Beweis warmer Theilnahme zufliessen zu lassen. Solchen Wünschen zu entsprechen, haben sich hier einige Freunde vereinigt. Ihr Zweck ist: grössere oder kleinere Gaben für die Griechen, von Stadt und Land, in Empfang zu nehmen, und von Zeit zu Zeit, mit möglichst kleinster Verzögerung, an den griechischen Verein in Zürich zu versenden, der diese Beiträge mit aller Klugheit und Sorgfalt für die dringendsten Bedürfnisse des von den Türken hart bedrängten Christenvolks verwenden wird.
Führend im Griechenverein waren Vertreter des städtischen Bürgertums. Neben den beiden reformierten Pfarrern und Gelehrten Johann Michael Fels und Peter Scheitlin engagierten sich weiter die Kaufleute und Stadträte Bartholome Steinlin-Steinmann und Georg Leonhard Steinlin, der Appellationsrichter Dr. Zollikofer sowie der spätere Regierungs- und Ständerat Arnold Otto Aepli. Sie agierten im Geiste des sogenannten «Philhellenismus», einer politisch-kulturellen Bewegung, die genährt war von demokratisch-nationalen Sehnsüchten der hiesigen Beteiligten. Sie idealisierten Griechenland mit Blick auf seine Bedeutung in der Antike als Wiege der europäischen Kultur. In Kombination mit der deutlich hervorgehobenen christlichen Prägung des Landes führte dies zu einer starken Identifikation der st.gallischen Unterstützer mit der griechischen Sache. Der griechische Befreiungskampf bewegte aber offenbar nicht nur die städtischen Eliten. Wie das oben dargestellte Beispiel einer Predigt vom Februar 1823 aus dem toggenburgischen Krinau zeigt, sollte das Ringen der Griechen um Freiheit auch der Landbevölkerung nahegebracht werden.
Im gleichen Jahr erregte der griechische Befreiungskampf auch in der St.Galler Kantonsregierung Aufmerksamkeit, nicht zuletzt aufgrund der Umtriebe des lokalen Griechenvereins. Die Exekutive unterstützte 1823 offiziell die Bestrebungen der griechischen Flüchtlinge in der Schweiz, über Frankreich und den Hafen Marseille auf Schiffen in die Heimat zu gelangen, um dort am Unabhängigkeitskampf teilzunehmen. 1832 wiederum, nach Erlangen der Unabhängigkeit, begrüsste der Regierungsrat – wie weitere 16 Kantone – die Thronbesteigung des Prinzen Otto von Bayern als griechischer König Othon I.
Patric Schnitzer, Staatsarchiv