Ein St.Galler von Weltformat - «Il faut partir gagnant!»
Was bleibt? Eine Spurensuche im Staatsarchiv St.Gallen zu Kurt Furglers 100. Geburtstag
Erinnern Sie sich noch an den wohl bekanntesten St.Galler Bundesrat? Am 24. Juni vor genau hundert Jahren wurde er in St.Gallen geboren. Nicht nur in der Schweizer Politik, sondern auch im Staatsarchiv St.Gallen hat er Spuren hinterlassen. Einige dieser Spuren wollen wir Ihnen im Folgenden vorstellen:
Auch der grösste Staatsmann fing einmal klein an. Dieses wohl im Jahr 1928 oder 1929 aufgenommene Foto zeigt «Kurtli» Furgler (zweiter von rechts auf dem Zaun) und zwei seiner Geschwister (der zwei Jahre ältere Bruder Robert Furgler und die 1928 geborene Schwester Hildegard Hüppi) mit ihrer Mutter Berty Furgler-Cavigelli (passend zum Aufnahmejahr mit dem in den 1920ern beliebten «Glockenhut»). Kurt Furglers Vater Robert war zunächst als Textilkaufmann tätig, musste sich vor dem Hintergrund der Stickereikrise allerdings neu orientieren und gründete später die Lebensversicherungsgesellschaft «Familia». Obwohl im Quartier St.Otmar der Stadt St.Gallen geboren und aufgewachsen, fühlte sich Kurt Furgler über seinen Heimatort Valens zeitlebens auch mit dem südlichen Kantonsteil verbunden. So wurde etwa anlässlich von Kurt Furglers Wahl zum Bundespräsidenten des Jahres 1977 nach der offiziellen «Triumphfahrt» durch den Kanton ein spezieller Besuchstag im Sarganserland organisiert.
Von Kindheit an wurde Kurt Furgler vom katholischen Milieu seines «Heimatquartiers» St.Otmar geprägt. Hier liegen die Anfänge von Kurt Furglers sportlicher und politischer Karriere: 1942 half er mit, die Handballabteilung des TSV St.Otmar zu gründen, in der Christlich-Sozialen Partei war er zunächst Mitglied der Jugendorganisation und wirkte später als Sekretär und Präsident der Mutterpartei. Dass sich der angehende Jurist bereits früh vertiefte Gedanken zu seiner Rolle als politisch aktiver Katholik machte, zeigt etwa ein Referat zum Thema «Politischer Katholizismus», das der 22-jährige Kurt Furgler 1946 vor der «christlich-sozialen Jugend Lachen-Vonwil» hielt.
Bezeichnend für die auch im Rückblick stets besonders hervorgehobene «steile» Karriere des späteren Bundesrats ist der Einzug in den Nationalrat im zarten Alter von 30 Jahren, womit Kurt Furgler zu den mit Abstand jüngsten Parlamentariern gehörte. Möglich geworden war dies 1954 durch die Wahl des St.Gallers Thomas Holenstein in den Bundesrat. In einem Gratulationsschreiben würdigte ein Kollege aus dem Schweizerischen Studentenverein STV den «beispiellosen Aufstieg» des von seinen Kommilitonen auf den Namen «Müüli» getauften Ausnahmetalents.
Mit seinem St.Galler Dialekt, der Verbundenheit zur katholischen Kirche und nicht zuletzt seiner fast schon sprichwörtlichen Brillanz und Beredsamkeit war «Dr. Furgler» in seiner Zeit als Bundesrat stets ein dankbares Ziel für die Spötteleien der Basler Fasnacht. Als Vorsitzender der Mirage-Kommission indessen hatte er sich aber offenbar die Bewunderung der «Rieblizupfer-Waggis» (die es heute übrigens immer noch gibt!) erarbeitet, die dem Nationalrat extra ihren «Zeedel» für die Basler Fasnacht 1965 zukommen liessen. Kurt Furgler war im Jahr zuvor zum Vorsitzenden der ersten parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) überhaupt gewählt worden – diese sollte die Vorgänge rund um die massiv überteuerte Beschaffung des Kampfflugzeugs «Mirage» aufklären. Die Untersuchung hatte u.a. zur Entlassung des Kommandanten der Luftwaffe und zum Rücktritt des Generalstabschefs geführt. Frohlockend kommentierte die Basler Wagenclique die Auswirkungen des Schlussberichts: «Dr Bebbi schwäbt im sibte Himmel / Trotz em Mirage-Furz und Fimmel!» Damit erscheint der spätere Bundesrat und Brigadier, den man wohl durchaus provokativ als «Militärkopf» bezeichnen konnte, als tüchtiger Kämpfer gegen das selbstherrliche EMD im Dienst des einfachen Soldaten («Däätel»).
Recht, Militär, Politik – mit seinem rasanten Aufstieg bis zum höchstmöglichen Rang eines Milizoffiziers (Brigadier) und der Wahl in den Bundesrat war Kurt Furgler (wohl nicht nur für den hinter der abgebildeten «Ehren-Leiter» stehenden Künstler) die fast perfekte Verkörperung einer männlichen «Bilderbuchkarriere» der Nachkriegszeit.
Obwohl bis heute wohl eines der bekanntesten Reformvorhaben von Kurt Furgler, konnten sich seine weitreichenden Visionen für eine rundumerneuerte Bundesverfassung letztlich nicht durchsetzen. Zu einer Totalrevision der Verfassung kam es erst 1999, allerdings war diese weit weniger umfassend als von Kurt Furglers Expertenkommission ursprünglich vorgesehen. Der 1978 veröffentlichte Entwurf wurde u.a. von konservativer und bürgerlicher Seite allgemein für die darin vorgesehene zentrale Rolle des (Bundes-)Staates kritisiert, besonders aber auch für die geplante Einführung einer Reihe von «Sozialrechten» (Art. 26). Dennoch musste z.B. sogar der streitbare Churer Stadtschreiber Dieter Heller, ansonsten ein scharfer Kritiker des Entwurfs, in einem Beitrag in der Zeitschrift «Verwaltungspraxis» zur Person des Kommissionspräsidenten neidlos anerkennen: «Er gilt – wohl nicht zu Unrecht – als einer der gescheitesten und beredtesten Landesväter, die wir je hatten. […] Es ist zu hoffen, dass unser äusserst fähiger Justizminister eine Funktion findet, die seinem Format angemessen ist. Vielleicht sind unsere schweizerischen Verhältnisse dafür zu eng.» Etwas weniger diplomatisch drückte sich ein Vernehmlassungsteilnehmer aus dem Umfeld der FDP St.Gallen aus: «Dieser Blumengarten von BV!» Dieter Heller sollte recht behalten: Tatsächlich war Kurt Furgler in den Jahren 1990/91 an einer Arbeitsgruppe der Harvard Universität beteiligt, die (vor allem auch mit Bezugnahme auf das Vorbild der Schweiz) Vorschläge für eine Reform der Sowjetunion ausarbeiten sollte – ein Vorhaben, das mit dem Militärputsch gegen Gorbatschow im August 1991 und spätestens mit dem endgültigen Zerfall der UdSSR am Ende desselben Jahres hinfällig wurde.
Weniger Autobahnen, mehr Naturschutz, schulfreier Samstag, Beruhigung der Zürcher Jugendunruhen – oder gleich die Verhinderung eines 3. Weltkriegs waren nur ein paar der Wünsche, welche die Schülerinnen und Schüler der Übungsschule der Sekundarlehramtsschule St.Gallen dem frisch gewählten Bundespräsidenten des Jahres 1981 mit auf den Weg gaben. Seinen eigenen Beitrag zur Entspannung des Kalten Krieges sollte Kurt Furgler freilich erst in seiner dritten Amtszeit als Bundespräsident leisten können, als er im November 1985 als Gastgeber der Gipfelkonferenz zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow in Genf fungierte.
Zwar eine ganze «Nummer kleiner» als die Genfer Gipfelkonferenz, dafür mit gemeinsamem Besuch der Stiftsbibliothek: der Staatsbesuch des österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger im Jahr 1981. Trotz persönlicher Führung durch den Stiftsbibliothekar Peter Ochsenbein (links) gilt in der «Stibi» auch für internationale (Staats-)Gäste: Finken an! Für die «Beschaulichkeit» von Kirchschlägers Besuch in St.Gallen besonders empfänglich zeigte sich u.a. der zufällig anwesende Bürgermeister der niedersächsischen Kleinstadt Bad Bevensen Wilhelm Bünde, der auf der Rückseite eines Bildes der «Reisegruppe» um Kurt Furgler notierte: «Ich war zufällig am Dienstag 08.09.1981 in St.Gallen - als Sie den Staatsbesuch aus Österreich hatten. Es war für mich ein herrliches Erlebnis, wie frei und herzlich ein Staatsbesuch in Ihrem schönen Land abläuft.»
Bei der Genfer Gipfelkonferenz traf Kurt Furgler mit den zwei mächtigsten Staatsmännern der Welt zusammen. Ob aus dem Bundespräsidenten und dem sowjetischen Generalsekretär auch abseits des «diplomatischen Parketts» gute Freunde geworden sind, wissen wir nicht – auf jeden Fall liess «Gorbi» dem sprachgewandten Bundespräsidenten (er begrüsste Michail Gorbatschow auf Russisch) eine Karte mit Neujahrsgrüssen und Kremlromantik zukommen.
Doch nicht nur unter den «Herren» wurden nach der Gipfelkonferenz warme Wünsche und Grüsse ausgetauscht – so bedankte sich Nancy Reagan, die Ehefrau des US-Präsidenten Ronald Reagan, bei Ursula Furgler für die gemeinsam verbrachte Zeit im Rahmen des «Damenprogramms». Dazu gehörte u.a. die Anwesenheit des Trios der «First Ladies» (zusammen mit Raissa Gorbatschowa) bei der Grundsteinlegung des Rotkreuzmuseums in Genf. Kurt Furgler selbst war bis 1992 Mitglied im Stiftungsrat des Museums.
Neben der Politik war der Sport eine der frühesten und prägendsten Leidenschaften von Kurt Furgler. Hin und wieder konnte man ihn sogar an einem Match des FC St.Gallen im Espenmoos antreffen – so etwa beim Viertelfinalspiel des Schweizer Fussball-Cups 1985/86 gegen Servette, zu dem er von seinem Bruder Martin Furgler begleitet wurde (falls Sie sich nicht mehr erinnern können, müssen wir Sie leider enttäuschen – der FCSG unterlag den Genfern mit 5:6 nach Penaltyschiessen…). Eine lebenslange Verbundenheit hegte Kurt Furgler besonders zum Handballsport: Als Mitbegründer und langjähriger Trainer der Handballabteilung des TSV St.Otmar führte er den Verein u.a. zu nationalen Titeln auf dem Feld (1964) und in der Halle (1971). Doch auch abseits des Spielfelds setzte sich Kurt Furgler für den Sport ein – und wusste auch hier, ganz Wettkämpfer, sich nicht von Niederlagen entmutigen zu lassen, so etwa, als die Stimmbevölkerung der Stadt Lausanne am 26. Juni 1988 einer Bewerbung für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 1994 eine deutliche Absage erteilte. Erst kurz zuvor hatte man den alt Bundesrat, vielleicht mit der Hoffnung, von dessen «Starpower» profitieren zu können, als Bevollmächtigten der Landesregierung in das OK geholt. Die Ablehnung der Lausanner Kandidatur war für den «Elder Statesman» freilich kein Grund, das Handtuch zu werfen, wie im Protokoll einer OK-Sitzung nach der Abstimmungsniederlage nachzulesen ist: «M. Furgler est convaincu que notre pays a les moyens et le droit d'organiser un jour une grande manifestation. […] Il faut partir gagnant!»
Peter Roth