Sprachheilschule St.Gallen
Title
Sprachheilschule St.Gallen
Stage
Fonds
Period of origin
1847-2011
Existenzzeitraum
1859-
Synonyme
vormals: Taubstummenanstalt St.Gallen
Geographische Angaben (Adresse)
Höhenweg 64, 9000 St.Gallen
Rechtsform
Verein
Rechtsgrundlagen
Die Sprachheilschule St.Gallen ist eine kantonal anerkannte Sonderschule. Schulträger ist der St.Gallische Hilfsverein für gehör- und sprachgeschädigte Kinder und Erwachsene.
Zur Anwendung kommen u.a. Rechtsnormen mit Bezug zu Schulbetrieb, -aufsicht und -finanzierung:
- Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20)
- Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung (IVV, SR 831.201)
- Gesetz über Kantonsbeiträge an private Sonderschulen vom 31. März 1977 (sGS 213.95). Art. 1: "Der Kanton gewährt Bau- und Betriebsbeiträge an: a) private Träger, die im Kanton St.Gallen Sonderschulen der Kindergarten- oder Volksschulstufe für Kinder mit körperlichen oder geistigen Gebrechen oder für sinnesgeschädigte, verhaltensgestörte oder schwererziehbare Kinder führen."
- Vollzugsverordnung zum Gesetz über die Staatsbeiträge an private Sonderschulen (Sonderschulverordnung) vom 6. Dezember 1977 (sGS 213.951)
- Verordnung über Kinder- und Jugendheime vom 21. September 1999 (sGS 912.4): Die Beaufsichtigung des Internats erfolgt in sachgemässer Anwendung von Art. 6 bis 8 der Verordnung.
- Kantonales Sonderpädagogik-Konzept von 2015
Die Sonderschulung erfolgt in Anlehnung an den Lehrplan des Kantons St.Gallen
Die Schule verfügt überdies über ein 2006 von Mitarbeitenden aus Schule, Therapie und Internat erarbeitetes Leitbild. Es sieht u.a. vor, dass die Schule ihre Schülerinnen und Schüler auf die Reintegration in die Volksschule bzw. den Übertritt in die Berufswelt vorbereitet.
(Amts-)Leitung
Susan Christen Meier: seit 2011
Bruno Schlegel: 1980-2011
Rolf Ammann: 1970-1980
Hans Ammann: 1937-1970
Ulrich Thurnheer: 1931-1937
Wilhelm Bühr: 1903-1930
Georg Friedrich Erhardt: 1859-1903
Behördengeschichte
Bereits 1846 war in Rheineck eine Privattaubstummenanstalt gegründet worden. Den eigentlichen ideellen Kern der späteren Taubstummenanstalt legte Babette Steinmann (1809-1864) 1850 mit der Gründung des Frauenvereins zur Unterstützung armer bildungsfähiger Taubstummer. Wie andernorts war auch in St.Gallen die Gründung durch eine eigene Betroffenheit veranlasst: Steinmanns Bruder war taub.
1858 erfolgte die Gründung des St.Gallischen Hilfsvereins für Bildung taubstummer Kinder, dessen Anliegen bereits u.a. die berufliche Integration der Hörbehinderten war.
1859 konnte die Taubstummen-Anstalt eröffnet werden. Sie betreute erst acht Kinder, die – bereits die regionale Ausstrahlung der Anstalt vorwegnehmend – aus den Kantonen St.Gallen, Appenzell und Thurgau kamen.
Ab den 1920er Jahren begann eine Entwicklung, welche die Schule bis heute begleitet: Mit medizinisch-biologischen Massnahmen können Hörbehinderungen verhindert bzw. kompensiert werden. 1922 wurde zuerst in Appenzell Ausserrhoden, dann auch in der übrigen Schweiz und in Österreich die Jodierung des Kochsalzes eingeführt. Da der Jodmangel in der Nahrungsaufnahme die wichtigste Ursache dieser endemischen Taubstummheit war, verzeichnete die Schule in den 1930er Jahren einen starken Rückgang der Schülerzahlen.
Im Schulunterricht werden seit jeher auch die praktischen Fähigkeiten der Schülerschaft gefördert. Als 1934 in Zürich die erste Lehrwerkstätte (für Schneider) gegründet wird, können auch zwei Schüler der St.Galler Taubstummen-Anstalt eine Lehre absolvieren. Die Fürsorge und Nachbetreuung für die ehemaligen Zöglinge – z.B. über die Organisation von geistlichen Andachten oder materielle Hilfsleistungen – wird auch in St.Gallen intensiv gepflegt; sie ist auch für die übrigen Schweizer Taubstummen-Schulen charakteristisch.
1937 wird die Anstalt gar zur Pionierin, indem sie die erste schweizerische Sprachheilschule gründet. Fortan therapiert sie als Taubstummen-Anstalt und Sprachheilschule St.Gallen neben gehörbedingten Störungen des Sprachvermögens auch sprachliche Leiden wie u.a. Stottern bei normalintelligenten und hörenden Kindern. Dieses St.Galler Konzept wird später von den bestehenden Gehörlosenschulen in Wabern, Münchenbuchsee und Riehen übernommen.
Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich in konstanter Folge weitere Meilensteine festmachen:
- 1946 wird unter der Leitung von Hans Ammann der erste Kurs für Sprachheillehrer / Logopäden mit anschliessender Prüfung durchgeführt.
- 1959 eröffnet die Sprachheilschule mit Hilfe des Kantons, der Schulgemeinden und Pro Infirmis Sprachheilambulatorien in der Region St.Gallen - Appenzell - Thurgau. Damit ist der Grundstein für die immer stärkere Dezentralisierung des Betreuungsangbots gelegt.
- 1973 wird die Begutachtungsabteilung für IV-anerkannte Abklärungen von hör- und sprachgeschädigten Kindern und Erwachsenen eingeführt (aufgelöst 1993); die Logopädinnen werden in den Logopädischen Dienst der Stadt St.Gallen integriert.
- 1983 erhält die Schule ihren heutigen Namen: Sprachheilschule St.Gallen. Schule mit Internat für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte. Die 110 hörbehinderten Schülerinnen und Schüler besuchen die Schule gemeinsam mit 130 sprachbehinderten Kindern. (Im Jubiläumsjahr 2008 wird der Anteil der hörbehinderten Kinder bei noch lediglich 8 % liegen, mit weiter abnehmender Tendenz.)
- 1986 Gründung eines Sprachheilkindergartens.
- 1987 Gründung der Fachstelle "Audiopädagogischer Dienst"; hörbehinderte Kinder werden durch den Dienst in den Regelklassen der Volksschule beraten und
gefördert.
- 1994 Eröffnung der Abteilung für Stotterer.
- 2002 Eröffnung der Sprachheilschule in Uznach als Zweigbetrieb.
- 2008 Übernahme aller Sprachheilkindergärten der Stadt St.Gallen.
- 2011 Schliessung der Hörgeschädigtenabteilung mangels Anmeldungen: Die Beschulung der hörbehinderten Kinder erfolgt ebenfalls in der Sprachheilabteilung.
- 2015 Eröffnung der Sprachheilschule Rheintal am Standort Balgach
Tätigkeitsbereich (Behördenkompetenzen)
Die Kernaufgabe der Sprachheilschule ist die Schulung, Therapie und Betreuung von gehör- und sprachbehinderten Kindern. Die Sprachheilschule kommt diesem Auftrag nach durch:
- Organisation des Schulunterrichts: Die Schule umfasst, einen Sprachheilkindergarten, eine Unter-, Mittel- und Oberstufe. Die Schule unterrichtet Kinder und Jugendliche mit schweren Störungen des Sprech-, Lese- und Schreibvermögens, meist in Folge von auditiven Wahrnehmungsstörungen, motorischen Entwicklungsverzögerungen und / oder Hörverlusten. Der Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler wird regelmässig von Fachkräften überprüft und eine entsprechende Förderplanung erarbeitet. Die Förderung erfolgt in den Bereichen Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz in Anlehnung an den Lehrplan der Regelschule. Die Eltern werden über den Stand der Sprachentwicklung ihres Kindes informiert und nach Möglichkeit in die Förderplanung miteinbezogen.
Die Schule wird als Tagesschule mit Mittagstisch und betreuter Freizeit betrieben, d.h. neben der Verpflegung (Mittagessen) organisiert die Schule auch motorische und soziale Aktivitäten (Spiel und Sport); hierbei werden die Spielenden von Mitarbeitenden betreut und zu sozialtauglichen Umgangsformen angehalten.
- Betreiben eines Internats: Das Wocheninternat steht Schülerinnen und Schülern zur Verfügung, die den Schulweg aus Distanzgründen nicht täglich bewältigen können. Ebenso werden Kinder und Jugendliche ins Internat aufgenommen, die eine sozialpädagogische Förderung benötigen, um ihre schulischen und persönlichen Ziele zu erreichen.
- Gewährleistung des Schülertransports mit Schulbussen für den Kindergarten und die Unterstufe.
- Organisation des Therapieangebots: Therapien wie Logopädie, Legasthenietherapie, Psycho- und Ergotherapie werden als medizinische Massnahmen ebenfalls in den Schulunterricht integriert.
- Betreiben des CI-Zentrums: Das Cochlea-Implantat ist eine Hörhilfe für hochgradig hörgeschädigte Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Nach der Operation sind bei CI-Trägern besondere Lernbedürfnisse zu erfassen und umzusetzen. Die Fachleute des CI-Centrums bieten die notwendigen pädagogischen und therapeutischen Hilfen an sowie die technischen Massnahmen zur individuellen und gezielten Förderung der CI-Kinder. Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einem CI werden im CI-Centrum pädagogisch beraten, begleitet und auf dem neuen Lernweg unterstützt.
Das CI-Centrum verfügt über einen technischen Dienst. Dieser gewährleistet die Wartung und Programmierung der Sprachprozessoren.
Das CI-Zentrum bietet u.a. folgende Dienstleistungen an: Prä- und postoperative Zusammenarbeit mit den HNO-Kliniken, Überprüfung des Sprachentwicklungsstandes, Kontakt und Austausch mit den zuständigen Ärzten.
- Betreiben eines Dienstes für Hörhilfen: Diese Dienstleistung wird von Pädakustikern (auf Kinderbedürfnisse spezialisierte Hörgeräte-Akustiker) erbracht und steht offen für Schülerinnen und Schüler der Schule, für durch den Audiopädagogischen Dienst betreute extern beschulte Schülerinnen und Schüler sowie für ehemalige Schülerinnen und Schüler.
[- Betreiben einer Stottererabteilung: Die Sprachheilschule St.Gallen bietet Kindern und Jugendlichen mit Redeflussstörung im Alter von 10 bis 18 Jahren eine halbjährige Intensivtherapie mit Internatsaufenthalt an. Der Schulunterricht in den Promotionsfächern erfolgt dabei in Zusammenarbeit mit den Klassenlehrkräften des Wohnorts. An die Therapie schliessen sich zwei Nachbetreuungswochen an.] (Nachtrag 2019: Diese Abteilung wurde mangels Nachfrage von der Sprachheilschule geschlossen.)
Administrative Strukturen
Die unter einer Schulleitung stehende Sprachheilschule St.Gallen umfasst die Schule St.Gallen, den Sprachheilkindergarten St.Gallen und die Schule Uznach.
Die Schule St.Gallen umfasst ihrerseits drei Abteilungen: Sprachheilabteilung, Abteilung für Stotterer und Cl-Centrum.
Die Schulleitung sowie die weiteren vier Organisationseinheiten des Hilfsvereins (Internatsleitung / Externatsleitung, Verwaltung, Dienst für Hörhilfen, Audiopädagogischer Dienst) unterstehen einer Direktion.
Die Sprachheilschule St.Gallen umfasst 170 zumeist in Teilzeit beschäftigte Mitarbeitende (= 102 volle Arbeitsstellen; Stand 2010).
Parallelüberlieferungen
Die Sprachheilschule verfügt über eine breite Palette an Geschäftskontakten. Es kann davon ausgegangen werden, dass hierbei – in unterschiedlichem Ausmass und unterschiedlicher Tiefe – auch eine Parallelüberlieferung der Unterlagen stattfinden kann:
Kantonale Ebene:
- Erziehungsrat: Die Bewilligung zur Führung einer Privatschule wird vom Erziehungsrat erteilt. Sonst besteht keine Zusammenarbeit zwischen Erziehungsrat und Sprachheilschule.
- Sonderschulkommission: Da die Sprachheilschule Kantonsbeiträge erhält, untersteht sie der Aufsicht der Sonderschulkommission. Die fünf bis sieben Mitglieder der Kommission werden vom Regierungsrat gewählt. Die Kommission steht unter der Aufsicht des Bildungsdepartementes. Die Kommission wirkt bei der Anerkennung und Überwachung der Sonderschulen durch den Kanton mit, berät das Bildungsdepartement in Fragen der Sonderschulung und beaufsichtigt die Internatsbetriebe. Die Protokolle und Akten der Kommission werden dem Staatsarchiv vom Amt für Volksschule zur Archivierung übergeben.
- Bildungsdepartement, Departementsleitung / Amt für Volksschule, Abteilung Sonderpädagogik: Über die Anerkennung einer Sonderschule entscheidet das Departement nach Anhören der Sonderschulkommission. Der Stellenplan der Schule bedarf ebenfalls der Genehmigung durch das Departement. Dem Departement muss von der Schule weiter der Voranschlag, Beschlüsse über unvorhergesehene zusätzliche Ausgaben und die Jahresrechung zur Genehmigung eingereicht werden.
Kommunale Ebene:
- Schulpsychologische Dienste v.a. der Kantone St.Gallen, Appenzell A.Rh., Appenzell I.Rh., Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Thurgau, Zürich und des Fürstentums Liechtenstein: Die Dienste weisen die Schülerinnen und Schüler zu. Sie empfehlen bzw. vermitteln ihrer Klientenschaft auch den Besuch der Intensiv-Therapie für Stotterer.
- Schulbehörden: Der Besuch der Intensiv-Therapie für Stotterer setzt das Einverständnis der zuständigen kommunalen Schulbehörde voraus.
- Schulen und Lehrbetriebe: Die Sprachheilschule fördert die Reintegration des Kindes in die Normalschule oder eine dem Kind entsprechende andere Sonderschule.
Die Lehrpersonen fördern und begleiten auch die Eingliederung in die berufliche Ausbildung, evtl. unter Mithilfe der IV.
Medizinische Akten und Forschung:
- Behandelnde Ärzte: Kontakt und Austausch mit dem CI-Centrum (Patientenakten).
- HNO-Kliniken: Prä- und postoperative Zusammenarbeit mit dem CI-Centrum (Patientenakten).
- CI IG Schweiz: Die Interessengemeinschaft organisiert an der Sprachheilschule das CI-Forum.
Weiter unterhält die Sprachheilschule Kontakte zu anderen Sonderschulen, zum VPS (Verband Privater Sonderschulträger) sowie zu einschlägigen Ausbildungsstätten (Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach, Bildungs-Institut Agogis [berufliche Bildung im Sozialbereich], Fachhochschule St.Gallen).
Von der reichen Institutionengeschichte zeugen ferner diverse, über den Archivbestand und die Forschungsbibliothek des Staatsarchivs greifbare Jubiläumsschriften (allerdings ohne wissenschaftlichen Anspruch).
Bewertung der organisatorischen Gesamtfunktion
Die Sprachheilschule St.Gallen ist eine private Institution mit überregionaler Bedeutung. Ihr Einzugsgebiet umfasst die Kantone St.Gallen, beide Appenzell, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Thurgau, Zürich und das Fürstentum Liechtenstein.
Während ihr – aufgrund von fehlenden alternativen Angeboten – in den Gründungsjahrzehnten eine "Quasi-Monopolstellung" zukam, kann die Sprachheilschule mittlerweile mit einer ganzen Reihe von externen Partnern (Schulungs- und Betreuungsinstanzen) zusammenwirken.
Bemerkenswert ist, dass in der Taubstummenanstalt bzw. der späteren Sprachheilschule auf privater Basis jenes Know-how generiert und gepflegt wurde, welches später den Ausbau von entsprechenden Angeboten der öffentlichen Hand unterstützte. Mit Blick auf das Gefüge der kantonalen (Kern-)Verwaltung – der Sprengel des Staatsarchivs – ist die Sprachheilschule eher von untergeordneter Bedeutung
Historische Kriterien
Was für die Bildungsgeschichte generell gilt, gilt für die Geschichte der Heil- oder Sonderpädagogik noch mehr: Sie verfügt nachwievor nicht über einen Platz im Standardrepertoire der Schweizer Geschichte; in der 1000seitigen "Schulgeschichte in Deutschland" von Gert Geissler wird die Heilpädagogik (sog. "Sonderschule") nur gestreift. Allerdings liegen mittlerweile von Sieglind Ellger-Rüttgardt ("Geschichte der Sonderpädagogik") und Andreas Möckel ("Geschichte der Heilpädagogik") zwei Überblickswerke zur allgemeinen Geschichte der Heilpädagogik vor. In Bezug auf die Schweiz gestaltet sich die Forschungslage ebenfalls verhältnismässig dünn. Das zweibändige "Quellenbuch zur Geschichte des Schweizerischen Taubstummenwesens" erschien bereits 1929; als Verfasser zeichnete der Zentralsekretär des Schweizerischen Fürsorgevereins für Taubstumme, Eugen Sutermeister. Eine ähnliche, weniger umfangreiche, dafür von einem Fachhistoriker erbrachte Syntheseleistung zur Geschichte des Gehörlosen- und Schwerhörigenwesens erschien erst acht Jahrzehnte später ("Hören lernen – hörbehindert bleiben. Die Geschichte von Gehörlosen- und Schwerhörigenorganisationen in den letzten 200 Jahren" von Michael Gebhard).
Der Wert von Original-Unterlagen (Archivalien) bleibt auch nach einer wissenschaftlichen Auswertung bestehen; die Archivalien müssen zur Überprüfung der wissenschaftlichen Arbeit zugezogen werden können. Im Falle der Taubstummenanstalt bzw. Sprachheilschule St.Gallen ist die Bedeutung der Unterlagen noch grösser, da die Schule bislang nie Gegenstand von fachhistorischen Untersuchungen war und Forschende im konkreten Fall auch nicht Unterlagen einer vergleichbaren Institution aus der Ostschweiz beiziehen können. Insbesondere die Unterlagen aus der Gründungszeit der Schule sind daher von erheblicher Bedeutung.
Beachtenswert ist schliesslich auch, dass die Primar- und Sekundarschulen kommunale Institutionen darstellen, welche im Staatsarchiv St.Gallen i.d.R. lediglich indirekt dokumentiert werden.
Rechtliche Kriterien
Bedeutung im Hinblick auf Rechtssicherheit und Interessenwahrung (für den Staat oder Private) sowie für die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns:
Eine Sprachbehinderung bzw. deren Therapierung bleibt über einen langen Zeitraum hinweg bedeutsam, beispielsweise wenn es gilt, für eine Prüfungserleichterung bei der Lehrabschlussprüfung ein entsprechendes Attest zu erstellen. Es empfiehlt sich für die Schülerakten daher eine Aufbewahrungsfrist, welche die obligatorische Schulzeit und die Dauer von anschliessenden Ausbildungen abdeckt. Mit einer Aufbewahrungfrist von 20 Jahren – gerechnet ab dem Austritt der Schüler – scheint die Rückgriffsmöglichkeit ausreichend gewährleistet.
Für die Nachvollziehbarkeit des Schulbetriebes und der pädagogischen Massnahmen bedeutungsvoll sind v.a. die Protokolle der Schulkommission des Hilfsvereins, die Protokolle der Sonderschulkommission des Kantons St.Gallen sowie die Jahresberichte der Schule.
Rechtliche oder administrative Aufbewahrungspflichten und -fristen:
- Rechnungswesen: Für die Rechnungsunterlagen besteht eine grundsätzliche Aufbewahrungspflicht von 10 Jahren (in sachgemässer Anwendung von Art. 590, 730c und 747 sowie Art. 957 und 962 des Schweizerischen Obligationenrecht, SR 220, und der eidgenössischen Geschäftsbücherverordnung, SR 221.431).
- Personaldossiers: Das Staatsarchiv empfiehlt für die Personaldossiers grundsätzlich eine minimale Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren (beginnend mit dem Austrittsdatum). In jedem Falle erfährt diese aus Art. 127 OR abgeleitete Aufbewahrungspflicht folgende zwei Erweiterungen:
a) Die Aufbewahrung über die Frist von 10 Jahren hinaus ist empfehlenswert bei hängigen Rechtsstreitigkeiten.
b) Vorbehalten bleibt die Anbietepflicht gegenüber dem Staatsarchiv.
Die zehnjährige Verjährungsfrist von Art. 127 OR gilt nach vorherrschender Auffassung u.a. auch für den Anspruch auf Erstellung, Begründung, Korrektur oder Ergänzung eines Arbeitszeugnisses. Diese Ansprüche können bis zehn Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden. Von der Aufbewahrungspflicht des Arbeitgebers betroffen sind in erster Linie Angaben über Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, Aufgabenbeschreibung und Verantwortungsbereich, Beurteilungen von Leistung, Verhalten und Führung, Laufbahn und Weiterbildung, Austrittsgrund aber auch Angaben über besondere Vorkommnisse.
- Schülerakten: Da die Schülerakten z.T. auch medizinisch-therapeutische Informationen (Korrespondenz) enthalten, können sie zumindest teilweise den Charakter von Krankengeschichten / Patientenakten aufweisen. Für diese Unterlagen empfiehlt sich eine minimale Aufbewahrungsfrist, wie es die Gesetzgebung für die einschlägigen Unterlagen vorsieht: Krankengeschichten der Ärzte müssen während wenigstens zehn Jahren aufbewahrt werden (Art. 15 der Verordnung über die Ausübung der medizinischen Berufe, sGS 312.0); berufliche Aufzeichnungen der übrigen Bewilligungsinhaber müssen ebenfalls während zehn Jahren aufbewahrt werden (Art. 18 Abs. 3 der Verordnung über die Ausübung von Berufen der Gesundheitspflege, sGS 312.1).
Vereinbarung
Vereinbarung zwischen dem Staatsarchiv St.Gallen und der Sprachheilschule St.Gallen vom Februar 2013:
Ins Staatsarchiv zur dauernden Archivierung zu übernehmen sind folgende Unterlagentypen:
- Protokolle der Kommission des Hilfsvereins
- Personalakten von Mitarbeitenden mit kantonalem oder nationalem Bekanntheitsgrad
- Schülerkartei: Karten Gehörlose und Karten Sprachbehinderte
- Schülerakten bis 1970
- Jahresbericht: Ablieferung von 2 Exemplaren pro Jahrgang zuhanden der Amtsdruckschriftensammlung des Staatsarchivs
- Infobulletin: Dauernde Aufbewahrung
Als nicht dauernd aufbewahrungswürdig taxiert werden folgende Unterlagentypen:
- Protokolle der Sitzungen des Schulkaders: Vernichtung (nach einer Aufbewahrungsfrist von mindestens 10 Jahren)
- Protokolle der Sonderschulkommission des Kantons St.Gallen: Vernichtung (nach Ermessen der Dienststelle)
- Übrige Personalakten: Vernichtung (nach einer Aufbewahrungsfrist von mindestens 10 Jahren nach Austritt)
- Listen Schuljahre: Vernichtung (nach Ermessen der Dienststelle)
- Schülerakten nach 1970: Vernichtung (nach einer Aufbewahrungsfrist von mindestens 20 Jahren, gerechnet ab dem Schulaustritt)
- Unterlagen Finanzbuchhaltung: Vernichtung (nach einer Aufbewahrungsfrist von mindestens 10 Jahren)
- Unterlagen zu Bauten: Werkverträge: Vernichtung (nach Ermessen der Dienststelle)
- Fachliteratur: Vernichtung (nach Ermessen der Dienststelle)
Der weiteren Angebotspflicht gegenüber dem Staatsarchiv unterliegen folgende Unterlagentypen:
- Unterlagen zu Bauten: Baupläne
- Referate und Fachartikel von Mitarbeitenden
- sämtliche in obiger Auflistung nicht aufgeführte Unterlagen
Term of protection
Zeitraumende
Protection period
30 years
Schutzfristkategorie
Sachakten (30 Jahre)
End of protection period
12/31/2041
Authorisation
Staatsarchiv
Accessibility
Archivmitarbeiter/-innen
Physical usability
Uneingeschränkt