Kinderschutzzentrum St.Gallen
Title
Kinderschutzzentrum St.Gallen
Stage
Fonds
Period of origin
keine Angabe
Existenzzeitraum
2002-
Verwandte Körperschaften, Familien, Personen
Stiftung Opferhilfe
Geographische Angaben (Adresse)
Claudiusstrasse 6, 9006 St.Gallen
Rechtsform
Abteilung
Rechtsgrundlagen
- Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 4. Oktober 1991 (Opferhilfegesetz, abgekürzt OHG; SR 312.5)
- Rahmenvertrag zwischen der Stiftung Opferhilfe und der Stiftung Ostschweizer Kinderspital St.Gallen betreffend In Via / Kinderschutzzentrum St.Gallen vom 11. April 2008
- Leistungsvereinbarung für die Jahre 2018 bis 2020 zwischen dem Kanton St.Gallen und der Stiftung Ostschweizer Kinderspital vom 30. Oktober 2017 betreffend Finanzierung der Geschäftsbereiche Beratungsstelle In Via, Weiterbildung und Prävention sowie Fallberatung Kindesschutz im Kinderschutzzentrum St.Gallen
- Verfügung des kantonalen Amts für Soziales vom 21. Februar 2013 (mit Anpassung vom 30. September 2014) betreffend die Betriebsbewilligung für das Schlupfhuus im Sinn der kantonalen Verordnung über Kinder- und Jugendheime (KJV; sGS 912.4)
- Verfügung des Bundesamts für Justiz vom 9. Dezember 2014 betreffend die Anerkennung des Schlupfhuus als Justizheim im Sinn des Bundesgesetzes über Leistungen des Bundes für den Straf- und Massnahmenvollzug vom 5. Oktober 1984 (LSMG, SR 341.1).
Behördengeschichte
Seit den 1980er Jahren wurde im Kanton St.Gallen immer deutlicher, dass die bestehenden Betreuungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen und/oder mit psychischen oder psychosomatischen Störungen ungenügend waren und dass für derartige Situationen Schutzunterkünfte vor allem im stationären Versorgungsbereich fehlten. So musste das Ostschweizer Kinderspital misshandelte Kinder oftmals weit über die medizinisch begründbare Dauer hinaus betreuen, weil die als Kindesschutzorgane tätigen Vormundschaftsbehörden die nötigen Anschlussplatzierungen nicht innert nützlicher Frist vornehmen konnten. Vor diesem Hintergrund wurden verschiedene Initiativen zur Verbesserung der Situation lanciert:
- im sozialpädagogischen Bereich: Auf Initiative der Regionalgruppe Ostschweiz des Schweizerischen Kinderschutzbundes, der Beratungsstelle Opferhilfe und des Elternnotrufs Ostschweiz erarbeitete eine Arbeitsgruppe "Schlupfhuus" im Jahr 1994 ein Konzept für ein Kinderschutzzentrum mit Möglichkeiten für ambulante Beratungen wie auch für stationäre Plätze.
- im medizinisch-psychiatrischen Bereich: Das Kantonale Psychiatriekonzept und die Spitalplanung stellten eine Reihe von Lücken in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung fest und forderten neue stationäre und halbstationäre Behandlungsmöglichkeiten verschiedener Art, unter anderem eine psychosomatische Station im Kinderspital St.Gallen.
Gestützt auf die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe "Schlupfhuus" beschloss die Regierung am 14. März 1995 die Durchführung eines Projekts unter der Trägerschaft des Ostschweizerischen Vereins für das Kind mit dem Auftrag, die Notwendigkeit eines Kinderschutzzentrums im Kanton St.Gallen zu überprüfen und aufzuzeigen, welche konkreten Massnahmen zum Schutz misshandelter Kinder zu ergreifen sind. Im November 1995 erging der Auftrag der Spitalkommission Ostschweizer Kinderspital und des Ostschweizerischen Vereins für das Kind an eine gemeinsam zusammengesetzte Projektgruppe, ein Konzept für eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische / psychosomatische Station zu erarbeiten. Im Juni 1996 lieferte die Projektgruppe ein entsprechendes Konzept ab, das in unmittelbarer Nähe des Kinderspitals eine solche Station vorsah. Mit Beschluss vom 3. März 1998 beauftragte wiederum die Regierung das Ostschweizer Kinderspital, die Führung der Planungsarbeiten für ein Feinkonzept für die Schaffung und den Betrieb eines Kinderschutzzentrums unter Berücksichtigung der notwendigen Interdisziplinarität zu übernehmen. Gestützt darauf wurde die Stiftung Ostschweizer Kinderspital am 29. Juni 1999 von der Regierung eingeladen, die Trägerschaft für das Kinderschutzzentrum zu übernehmen und die weiteren Planungsarbeiten zu Handen des Grossen Rats an die Hand zu nehmen. Dieser stimmte mit Beschluss vom 18. April 2001 (gültig ab 1. Januar 2002) dem Staatsbeitrag an das zu schaffende Kinderschutzzentrum zu.Dieses nahm anschliessend schrittweise seinen Betrieb auf:
- Am 1. Februar 2002 eröffnete an der Falkensteinstrasse 84 in St.Gallen die Anlauf- und Beratungsstelle des Kinderschutzzentrums (heute: Beratungsstelle In Via) zur niederschwelligen Beratung und Information für Kinder und Jugendliche, die von psychischer, physischer oder se¬xualisierter Gewalt und Vernachlässigung betroffen sind, sowie für deren Bezugspersonen, Fachleute und weitere Institutionen. In die Anlauf- und Beratungsstelle wurde das Tel. 147 Ostschweiz und der Eltern-Notruf Ostschweiz integriert.
- Ab dem 1. Oktober 2002 bot das Schlupfhuus an der Grossackerstrasse 15a als Notunterkunft für Kinder und Jugendliche von 6 bis 18 Jahren, die in der Familie oder im sozialen Umfeld psychische, physische und sexuelle Gewalt erleben oder einer sol¬chen Bedrohung und/oder Gefährdung ausgesetzt sind, sofortige Hilfe, Schutz und Sicherheit an.
- Per 1. Januar 2003 nahm eine psychosomatische Bettenstation (heute: Romerhuus) ihren Betrieb auf und bot eine stationäre Behandlungsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche im Alter von etwa 4 bis 18 Jahren mit psychischen und/oder psychosomatischen Erkrankungen an.
Weitere Entwicklung:
- Dezember 2004: Das Kinderschutzzentrum übernimmt das Intake (Fallaufnahme) für die Kinderschutzgruppen, die vom Amt für Soziales des Kantons St.Gallen geführt werden.
- 31. Dezember 2004: Das Kinderschutzzentrum kündet den Vertrag mit Pro Juventute Schweiz zum Betrieb der Regionalstelle Ost für das Sorgentelefon 147.
- 1. Januar 2005: Start des Kinder- und Jugendnotrufs (KJN) als Nachfolge von Tel. 147 im Kanton St. Gallen. Die Beratungen werden von Mitarbeitenden der Anlauf- und Beratungsstelle und des Schlupfhuus übernommen.
- 8. Februar 2005: Die Anlauf- und Beratungsstelle des Kinderschutzzentrums heisst neu In Via.
- 1. Januar 2007: Die verwaltungsinterne Zuständigkeit für die Finanzierung der Beratungsstelle In Via und des Schlupfhuus geht vom Gesundheitsdepartement auf das Departement des Inneren über.
- 3. März 2011: Die psychosoziale Bettenstation Romerhuus wird fachlich aus dem Kinderschutzzentrum herausgelöst und strukturell ins Ostschweizer Kinderspital integriert. In finanziellen Belangen bleibt das Romerhuus noch bis 2015 beim Kinderschutzzentrum.
- 2012: Das Schlupfhuus erhält die Anerkennung des Bundesamts für Justiz als Justizheim (BJ).
- 1. Januar 2013: Das Schlupfhuus erhält die Anerkennung der Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE) und wird fortan über diese abgerechnet.
- 21. Februar 2013: Das Schlupfhuus erhält vom kantonalen Amt für Soziales die Betriebsbewilligung.
- 1. Januar 2015: Das Romerhuus ist nun finanztechnisch vollumfänglich in die Stiftung Ostschweizer Kinderspital integriert und aus dem Kinderschutzzentrum verabschiedet.
- 21. Februar 2019: Der Kanton und die Stiftung Ostschweizer Kinderspital sind nach eingehender Klärung der Sachlage übereingekommen, dass sich die Stiftung Ostschweizer Kinderspital (SOKS) per Ende März 2020 aus dem Angebot Schlupfhuus, Notunterkunft für Kinder und Jugendliche in St.Gallen, zurückzieht. Der Kanton beabsichtigt, für eine Nachfolgelösung besorgt zu sein.
- 31. März 2020: Das Schlupfhuus wird geschlossen
- 1. April 2020: Die Beratungsstelle In Via und der Aufgabenbereich Weiterbildung und Prävention werden in das Ostschweizer Kinderspital integriert und bilden dort innerhalb des Bereichs Jugendmedizin die Abteilungsgruppe Kinderschutzzentrum.
Tätigkeitsbereich (Behördenkompetenzen)
a) Beratungsstelle In Via:
- Niederschwellige ambulante und telefonische Beratung von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren, welche von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt sowie Vernachlässigung betroffen sind oder sein könnten.
- Beratung von Angehörigen, Bezugspersonen, Fachpersonen oder kommunalen und regionalen Behörden, Organisationen und Vereinen auf Grund des Verdachts oder bei direkten Äusserungen oder Beobachtungen von Kindern und Jugendlichen bezüglich physischer, psychischer oder sexueller Gewalt sowie Vernachlässigung.
- Betrieb des «Kinder- und Jugendnotrufs» (071 243 77 77): telefonische Beratung, Krisenintervention, Information und Triage von Kindern und Jugendlichen während 24 Stunden und 365 Tagen im Jahr, in Zusammenarbeit mit dem Schlupfhuus.
- Betrieb der Eltern-Hotline «TATKRÄFTIG» (071 243 78 78): Telefonische Beratung, Krisenintervention, Information und Triage für Eltern, die in der Erziehung ihrer Kinder an Grenzen stossen.
- Fallberatung Kindesschutz (ehemals Kinderschutzgruppen): Fachpersonen, die mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten (Lehrpersonen, Beratungsstellen, Jugendarbeit, u.a.) und Fragen betreffend möglicher Gefährdungen des Kindeswohls haben, können sich an die Fallberatung Kindesschutz wenden. Die eigentliche Beratung dieser Fälle erfolgt durch zwei regionale, interdisziplinär zusammengesetzte Fachgremien. In Via ist allein zuständig für das Intake (Ersterfassung) der Fälle. Fachlich und organisatorisch ist das Amt für Soziales für das Angebot verantwortlich; ab 2021 geht diese Verantwortung an das Kinderschutzzentrum über.
b) Schlupfhuus (2002-2020):
- Krisenintervention: Sofortige Gewährung von Schutz und Sicherheit für Kinder und Jugendliche, die in ihrem sozialen Umfeld psychische, physische oder sexuelle Gewalt erleben oder einer solchen Bedrohung und/oder Gefährdung ausgesetzt sind, Notunterkunft mit acht Plätzen.
- Sozialpädagogische Begleitung und Betreuung (Alltagsbegleitung und Tagesstruktur, Gruppenangebote, bei einem längeren Aufenthalt auch pädagogische Schulung) sowie psychosoziale Beratung. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Schlupfhuus beträgt rund 16 Tage (Stand 2019).
- Mitbetrieb des «Kinder- und Jugendnotrufs», gemeinsam mit der Beratungsstelle In Via.
- Kooperation mit weiteren Fachstellen, insbesondere bei der Suche nach einer Anschlusslösung, sowie Berichtswesen und Empfehlungen an die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB.
c) Weiterbildung und Prävention:
- Weiterbildungs- und Präventionsveranstaltungen zu verschiedenen Themen des Kindesschutzes in Schulen, Vereinen, Organisationen und für Fachpersonen sowie Elternbildungsveranstaltungen.
- Zusammenarbeit mit der Fachhochschule St.Gallen im Weiterbildungsprogramm «CAS Brennpunkt Kindesschutz» und Mitwirkung an weiteren Fortbildungsveranstaltungen, beispielsweise in Kooperation mit dem Berufs- und Weiterbildungszentrum für Gesundheits- und Sozialberufe (BZGS).
Administrative Strukturen
Das Kinderschutzzentrum wurde von einer Geschäftsleitung geführt, der die jeweiligen Leitungen der drei Bereiche In Via, Schlupfhuus und Weiterbildung/Prävention angehörten. Als Schnittstelle zum Stiftungsrat des Ostschweizer Kinderspitals fungierte der dreiköpfige Ausschuss Kinderschutzzentrum, der für das strategische Controlling, das Risikomanagement und die interne Aufsicht über das Schlupfhuus besorgt war. Dem Stiftungsrat selbst vorbehalten sind die Verabschiedung des Geschäftsberichts, die Genehmigung von Budget und Jahresrechnung, die Wahl der Mitglieder der Geschäftsleitung sowie die Unterzeichnung von Verträgen mit externen Dritten.
Parallelüberlieferungen
Das Kinderschutzzentrum pflegt einen vielfältigen Austausch mit verschiedenen Behörden und Dienststellen aller staatlichen Ebenen sowie mit privaten Institutionen und Fachstellen. Im Sinn einer Auswahl besonders bedeutender Kooperationen und Kontakte seien genannt:
- Stiftung Ostschweizer Kinderspital: Das Kinderschutzzentrum ist war bis zur Integration am 1. April 2020 ein selbständiger Teil der Stiftung Ostschweizer Kinderspital. Es bestand aber schon vor diesem Zeitpunkt und besteht weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit den zentralen Gremien und der Administration der Stiftung, die in zwei stiftungsinternen Vereinbarungen aus den Jahren 2002 und 2003 geregelt war. Gestützt darauf wurden und werden bestimmte Unterlagentypen, die das Kinderschutzzentrum betreffen, zentral durch die Verwaltung des Kinderspitals verwahrt. Dies gilt namentlich für: Zentrale Rechtsgrundlagen: Leistungsvereinbarungen, Betriebsbewilligungen, etc.; Jahresberichte und Jahresrechnungen (Die jährliche Berichterstattung des Kinderschutzzentrums (inkl. wichtige statistische Kennzahlen) ist integriert in den Geschäftsbericht der Gesamtstiftung); Protokollserien von Stiftungsrat und Ausschuss Kinderschutzzentrum; Personaldossiers; Rechnungswesen/Buchhaltung; Medienberichterstattung (Dokumentation); Prospekte, Broschüren und Werbematerial aus sämtlichen Tätigkeitsbereichen des Kinderschutzzentrums. Die archivische Sicherung der genannten Unterlagen erfolgt, soweit eine Archivwürdigkeit gegeben ist, im Rahmen der archivischen Abmachungen mit der Stiftung Ostschweizer Kinderspital.
- Stiftung Opferhilfe: Die Stiftung Opferhilfe hat den Auftrag der Opferhilfe nach dem Opferhilfegesetz für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche an das Kinderschutzzentrum delegiert. Im Rahmen der Ausführung dieses Auftrages finden ca. zweimal jährlich Austauschsitzungen statt. Die stellenübergreifende Arbeitsgruppe Kinder und Häusliche Gewalt (KuHG), gemeinsame Intervisionen, Weiterbildungen und Fallbesprechungen, die nach Bedarf stattfinden, sind weitere Elemente der engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Stellen.
Im Auftrag der Stiftung Opferhilfe hat In Via zudem die Kompetenz, über Soforthilfe im Rahmen des OHG zu entscheiden und diesen Teil der finanziellen Leistungen zu sprechen. Da die Ausrichtung der finanziellen Leistungen aber durch die Beratungsstelle Opferhilfe geschieht, werden die Finanzdossiers dort eröffnet.Das Falldossier wird von In Via geführt. Über die Leistung längerfristiger Hilfe entscheidet die Finanzkommission der Stiftung Opferhilfe. In Via berät die Klienten im Vorfeld und unterstützt sie, ein entsprechendes Gesuch zu stellen. Die Finanzdossiers werden dem Staatsarchiv von der Stiftung Opferhilfe angeboten.
- Kantonsrat und Regierung: Über die Ratsprotokolle von Parlament und Regierung (AGR B 1 und ARR B 2) ist die Überlieferung der wichtigsten Entscheide über das Kinderschutzzentrum gesichert (insbesondere seine Entstehung und Finanzierung über Staatsbeiträge betreffend).
- Departement des Innern (DI): Das DI ist seit dem Jahr 2007 das verwaltungsintern für das Kinderschutzzentrum zuständige Departement. Die aus dieser Funktion heraus beim Generalsekretariat des DI entstehenden Unterlagen werden dem Staatsarchiv regelmässig zur Übernahme angeboten (siehe A 266/26 und A 439/2.1).
- Amt für Soziales (AfSO): Das AfSO war Bewilligungs- und Aufsichtsorgan für das Schlupfhuus und wickelt als Verbindungsstelle der IVSE die finanziell-buchhalterischen Aspekte der einzelnen Unterbringungen ab. Ferner besteht eine Zusammenarbeit im Rahmen der vom AfSO geleiteten Kantonalen Konferenz Kindesschutz, dem strategischen Kinderschutzorgan im Kanton; die Federführung liegt beim AfSO.
- Sicherheits- und Justizdepartement (SJD): Das Kinderschutzzentrum arbeitet zusammen mit der Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und mit der Entschädigungsstelle im SJD, die für Entschädigung und Genugtuung im Rahmen der Opferhilfe zuständig ist. Die Federführung für diese beiden Dossiers liegt in beiden Fällen beim SJD.
- Bundesamt für Justiz (BJ): Die periodischen Aufsichtsbesuche des Schlupfhuus wurden durch das BJ dokumentiert. Zudem hatte das Schlupfhuus zentrale Angaben zu seinen Klienten und -innen auf der vom BJ verwalteten Homepage Casadata eingetragen, die als Grundlage für schweizweite Erhebungen statistischer Art dient.
- Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB): Nach Neueintritten ins Schlupfhuus war eine Gefährdungsmeldung an die zuständige KESB üblich. Nur selten macht dagegen In Via eine Meldung an die KESB.
- Fachhochschule St.Gallen (FHS): Das Kinderschutzzentrum leistet Beiträge zu mehreren, von der FHS durchgeführten Aus- und Weiterbildungsangeboten zum Thema Kindesschutz.
- Statistiken: Neben der oben erwähnten statistischen Berichterstattung im Rahmen des Geschäftsberichts der Stiftung Ostschweizer Kinderspital erfolgen weitere statistische Erhebungen zuhanden der Stiftung Opferhilfe, des Bundesamts für Statistik (Opferhilfestatistik Schweiz) und dem Amt für Soziales.
Bewertung der organisatorischen Gesamtfunktion
Das Kinderschutzzentrum ist als Teil des Ostschweizer Kinderspitals (OKS) formalrechtlich klar ausserhalb der kantonalen Verwaltung tätig. Gleichwohl basierte seine Tätigkeit bis zur Schliessung des Schlupfhuus per Ende März 2020 massgeblich auf kantonalen Grundlagen. Dies gilt sowohl für das Kinderschutzzentrum als Ganzes als auch für seine zentralen Aufgabenbereiche, die Beratungsstelle In Via, den Bereich Weiterbildung und Prävention und das Schlupfhuus. So ist der Kanton St.Gallen als einer der Trägerkantone massgeblich an der Stiftung OKS und damit auch am Kinderschutzzentrum beteiligt. Die Beratungsstelle In Via operiert gemäss einem Leistungsauftrag der Stiftung Opferhilfe, die ihrerseits wesentlich vom Kanton St.Gallen getragen wird, sowie gestützt auf eine Leistungsvereinbarung mit dem kantonalen Amt für Soziales. Der Bereich Weiterbildung / Prävention leistet seinen Auftrag auf Grundlage der Leistungsvereinbarung mit dem Kanton. Die Tätigkeit des Schlupfhuus basierte auf rechtlichen Grundlagen und einer Betriebsbewilligung des Kantons.
Historische Kriterien
Aus heutiger Sicht sind aus einer wissenschaftlichen Perspektive die folgenden möglichen Erkenntnisinteressen zu beachten:
- Institutionengeschichte: Untersuchung von Entstehung und Entwicklung des Kinderschutzzentrums, der Tätigkeitsschwerpunkte, Konzepte, Organisation, Methoden usw.
- Statistische Auswertungen: Untersuchung der Anzahl gewaltbetroffener Kinder und Jugendlichen sowie der Zusammensetzung der Fälle, z.B. nach Alter, Geschlecht und Familienverhältnisse der Opfer, nach Art der erlebten Gewalt und Hilfe, unter Berücksichtigung des zeitlichen Wandels dieser Kenngrössen.
- Analyse von Gewalttaten aus der Opferperspektive: Zum Thema Gewalt steht der Forschung heute eine Vielfalt von Quellen (auch archivischer Art) aus den Bereichen Polizei und Justiz zur Verfügung, bei denen aber der Fokus in der Regel einseitig auf dem Täter bzw. der Täterin liegt. Im Unterschied dazu reflektieren die Falldossiers der Beratungsstelle In Via – wenn auch durch den "Filter" der Beratungsstelle – die Opferperspektive und ermöglichen somit die Überprüfung und Ergänzung der aus den erstgenannten Quellen gewonnenen Einsichten.
Rechtliche Kriterien
Rechtliche oder administrative Aufbewahrungspflichten und -fristen:
Das "Reglement für den gesetzeskonformen Umgang mit Dokumenten am Ostschweizer Kinderspital", das im März 2011 von der Spitalleitung verabschiedet worden ist, legte – in Übereinstimmung mit den einschlägigen Artikeln des Schweizerischen Obligationenrechts (SR 220) und der eidgenössischen Geschäftsbücherverordnung (SR 221.431) – für buchungsrelevante Dokumente eine Aufbewahrungsdauer von 10 Jahren, für alle übrigen Geschäftsdokumente von 20 Jahren fest. Diese Fristen decken sich mit jenen, die das revidierte Verjährungsrecht vorsieht, das in Art. 60 OR (SR 220) geregelt ist und bei Personenschäden neu eine Verjährungsfrist von 20 Jahren vorsieht.
Für eine Reihe von Unterlagentypen bestehen darüber hinaus spezifische Vorgaben. Dies gilt namentlich für die verschiedenen Typen von klientenbezogenen Unterlagen. So sieht das Kinderschutzzentrum für Karteien, Verzeichnisse oder Stammblätter von Kindern und Jugendlichen, die im Schlupfhuus betreut werden, die dauernde Aufbewahrung vor. Für die Falldossiers der Beratungsstelle In Via hat das Kinderschutzzentrum zusammen mit einer auf Opferhilfe-Fragen spezialisierten Anwältin in einem internen Dokument vom 28. November 2019 folgende Aufbewahrungsfristen definiert, die sich nach den darin aufgeführten gesetzlichen Bestimmungen und dem bereits erwähnten Reglement für den gesetzeskonformen Umgang mit Dokumenten der Stiftung Ostschweizer Kinderspital richten. Für Falldossiers zu bestimmten unverjährbaren Delikten nach StGB von erwachsenen Tätern an unter 12jährigen Opfern gilt die Pflicht zur dauernden Aufbewahrung, für die übrigen Falldossiers Aufbewahrungsfristen von 20 bis 30 Jahren ab Fallabschluss.
Bedeutung im Hinblick auf Rechtssicherheit und Interessenwahrung (für den Staat oder Private) sowie für die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns:
Der Staat ist im Sinn der Rechtssicherheit darauf angewiesen, bis zum Ablauf der vom Gesetz vorgegebenen, in der Tabelle unter Pt. 12 genannten Fristen bei Bedarf auf die Beratungsdossiers von In Via zurückgreifen zu können. Dasselbe Interesse kann, jedenfalls bei allen Beratungsdossiers nach Opferhilfegesetz, aus Sicht der Betroffenen und ihren Angehörigen vorliegen, die bisweilen, unter Umständen auch mit einem erheblichen zeitlichen Abstand zur Tat bzw. zur Beratung, das Bedürfnis geltend machen, auf das seinerzeit Vorgefallene zurückzukommen.
Gerade weil sich das Kinderschutzzentrum im Allgemeinen und die Beratungsstelle In Via im Besonderen in einem äusserst sensiblen Feld bewegen, besteht schliesslich auch aus einer gesellschaftlichen Optik ein Interesse, diese Tätigkeit für die Nachwelt wenigstens minimal nachvollziehbar zu halten. Unverzichtbar dafür ist die dauernde Aufbewahrung von Jahresberichten, Grundlagendokumenten und Leitungsprotokollen der obersten Ebene. Ergänzend kann aber auch eine exemplarische Auswahl von Falldossiers einen Beitrag leisten.
Vereinbarung
Vereinbarung zwischen dem Staatsarchiv St.Gallen und dem Kinderschutzzentrum St.Gallen vom Oktober 2020:
a) Leitung/Administration:
- Strategische und organisatorische Grundlagen: Angebotspflicht (Ablieferung zur differenzierten Beurteilung im Staatsarchiv)
- Geschäftsberichte KSZ: Archivwürdig (Ärchivierung als Teil der Geschäftsberichte SOKS)
- Kooperations- und Dienstleistungsverträge: Vernichten (nach Ablauf der Laufdauer)
- Geschäftsleitungssitzungen und –klausuren, Protokolle: Archivwürdig
- Geschäftsleitung, Wochenbesprechungen: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Protokolle Team: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Quartalsergebnisgespräche (QEG): Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Arbeitsgruppe Opferschutz und Strafverfahren, Protokolle, Empfehlungen: Archivwürdig
- Broschüren, Prospekte, Werbematerial: Anbieten (zur differenzierten Beurteilung durch das Staatsarchiv)
b) Beratungsstelle In Via:
- Konzeptionelle und organisatorische Grundlagen: Angebotspflicht (Ablieferung zur differenzierten Beurteilung im Staatsarchiv)
- Teamsitzungen, Protokolle: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Arbeits- und Projektgruppen, Protokolle, Akten: Anbieten (zur differenzierten Beurteilung durch das Staatsarchiv)
- Beratungsdossiers: Jedes 50. Dossier pro Aktenjahrgang (Z): archivwürdig; Dossiers zu Fällen, die der Bundesgesetzgebung über die Unverjährbarkeit sexueller Straftaten an Kindern unterliegen (UV): archivwürdig; Aussergewöhnliche Einzelfälle (Ö) : archivwürdig; übrige Dossiers: nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der intern geltenden Aufbewahrungsfrist )
c) Schlupfhuus:
- Konzeptionelle und organisatorische Grundlagen: Anbieten (zur differenzierten Beurteilung durch das Staatsarchiv)
- Teamsitzungen, Protokolle: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Klientendossiers: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
d) Weiterbildung und Prävention:
- Konzeptionelle und organisatorische Grundlagen: Anbieten (zur differenzierten Beurteilung durch das Staatsarchiv)
- Teamsitzungen, Protokolle: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
- Fachtagungen, Dokumentationen: Archivwürdig
- Diverse Weiterbildungsveranstaltungen, Akten: Nicht archivwürdig (Vernichten nach Ablauf der internen Gebrauchsdauer)
Term of protection
Unbekannt
Schutzfristkategorie
Sachakten (30 Jahre)
Authorisation
Staatsarchiv
Accessibility
Archivmitarbeiter/-innen
Physical usability
Uneingeschränkt