Aktionsgruppe zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen (ARNA)
Titel
Aktionsgruppe zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen (ARNA)
Signatur
W 362
Stufe
Bestand
Entstehungszeitraum
1964 (ca.)-1993
Archivalienart
Dokument , Bild , Objekt , Video
Ausprägung
analog
Laufmeter
3.85
Anzahl
1083
Enthält
Vereinsgeschichte:
Die "Aktion zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen" (ARNA) wurde am 27. Oktober 1989 im Hotel Bahnhof in Gossau gegründet. Laut Gründungsstatuten bezweckte die ARNA die "integrale Erhaltung des Natur- und Landschaftsgebiets Tannenberg und insbesondere die Verhinderung des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen". Das Projekt eines Kasernenbaus und weiterer Anlagen im Gebiet Neuchlen-Anschwilen sollte nach dem Willen des Militärs die 1980 abgerissene Stadtkaserne St.Gallen ersetzen, die dem Bau der Stadtautobahn hatte weichen müssen. Die ARNA versuchte, das Bauprojekt zunächst mit einer Informationskampagne und direkten Zuschriften an Behörden und Politiker zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Als die Bauarbeiten im April 1990 dennoch aufgenommen wurden, kam es zu direkten, auch medial beachteten Blockadeaktionen der "Gewaltfreien Opposition Neuchlen-Anschwilen" (GONA), in der auch Vertreter der ARNA aktiv waren. Auf der Seite der Waffenplatzbefürworter formierte sich unter dem FDP-Politiker und Kantonsrat Peter Weigelt als Geschäftsführer die "Interessengemeinschaft für sinnvolle und glaubwürdige militärische Ausbildungsplätze in der Ostschweiz" (ISGA). Unterstützung und Opposition verlief entlang der Grenze zwischen bürgerlichen und links-grünen Parteien (mit LDU). Dies entsprach der Konstellation bei der Abstimmung über die sogenannte Rothenthurm-Initiative von 1987, deren Annahme gezeigt hatte, dass sich militärische Bauvorhaben per Volksabstimmung verhindern liessen.
Landesweite Bekanntheit erlangte die ARNA endgültig, als am 14. Dezember 1990 die erst gerade im Sommer desselben Jahres lancierte Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär" eingereicht werden konnte. Gefordert wurden darin u.a. eine Beendigung des Neubaus von militärischen Anlagen, die zudem den regulären kommunalen Bauvorschriften unterstellt werden sollten. Eine Annahme der Initiative hätte gemäss Übergangsbestimmungen zudem zum Abbruch sämtlicher in Neuchlen-Anschwilen erstellter Bauten führen sollen. Trotz einer versuchten Ungültigkeitserklärung durch die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats kam die "Anti-Waffenplatz-Initiative" (wie sie von der Gegenkampagne genannt wurde) nach einer Verschiebung am 6. Juni 1993 gemeinsam mit der F/A-18-Initiative der "Gruppe Schweiz ohne Armee" (GSoA) an die Urne, wo sie mit rund 55% Nein-Stimmen scheiterte (Zustimmung fand die Initiative lediglich in der lateinischen Schweiz und den beiden Basel).
Die letzte offizielle Mitgliederversammlung der ARNA vom 4. Dezember 1993 beschloss zwar, den Verein als Beobachter des Waffenplatzbaus in Neuchlen-Anschwilen bestehen zu lassen, gab dem Vorstand jedoch die Kompetenz, die ARNA zu einem späteren Zeitpunkt per einstimmigem Beschluss und ohne erneute Versammlung auflösen zu können. Die bis dahin der ARNA zukommenden Mitgliederbeiträge sollten zudem neu zur Unterstützung der beim WWF angesiedelten "Arbeitsstelle Militär und Ökologie" (AMÖ) verwendet werden. Die letzte öffentliche Protestaktion der ARNA waren ein Mediencommuniqué und die Aufschaltung einer Protestwebsite anlässlich der offiziellen Einweihung des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen im August 1997.
Obwohl der Impuls für die Gründung der ARNA zunächst vom Widerstand gegen ein lokales Bauprojekt ausgegangen war, zogen ihre Aktionen bald die Aufmerksamkeit von Intellektuellen, Kulturschaffenden und Parteien in der ganzen Schweiz auf sich. Die ARNA selbst solidarisierte sich auch mit anderen Aktionen, etwa dem Kulturboykott der Feierlichkeiten zu 700 Jahren Eidgenossenschaft sowie Demonstrationen gegen den Golfkrieg oder die Armeeübung "Limes". Ihre eigenen Aktionen verstand die ARNA über das Lokale hinaus als legitimen Widerstand gegen einen übermächtigen Staat, der in Gestalt des Militärs in undemokratischer Weise die "natürlichen Lebensgrundlagen" des Volkes zerstöre und sich dabei auf ein militarisiertes Denken stütze, das spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr gerechtfertigt sei. Für ihre Gegner betrieben die ARNA (und ihre "Abstimmungspartnerin" GSoA) eine verdeckte, staats- und sicherheitspolitisch gefährliche, "Armee-Abschaffung in Raten". Unter dem Stichwort der "Armee-Abschaffung" sah die Gegenkampagne im Abstimmungskampf eine prinzipielle Auseinandersetzung um das nationale Selbstverständnis der Schweiz.
Im Gegensatz zur GSoA konnte sich die ARNA nicht dauerhaft als Organisation im Themenbereich Armeekritik etablieren. Und doch sollte die von der ARNA bearbeitete Konfliktlinie zwischen Umweltschutz und (bürgerlichem) Staat gerade für die 1990er Jahre prägend werden. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums beschwor etwa die 1985 gegründete Auto-Partei die Knechtung des freien Bürgers durch eine drohende "Ökodiktatur" und wurde damit nachhaltig prägend für das bürgerliche Parteienspektrum (auch wenn die Auto-Partei bis Ende der 1990er nahezu vollständig von der SVP verdrängt wurde). Die Polarisierung zwischen "Grün" und "Bürgerlich" im Rahmen traditioneller und neuer Parteien und Bewegungen lässt sich letztlich bis zu den Klimaprotesten des 21. Jahrhunderts verfolgen.
Bestandesgeschichte:
Der Bestand enthält v.a. Unterlagen des Vereins "Aktionsgruppe zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen" (ARNA) von dessen Gründung 1989 bis zur "Auflösung" im Winter 1993. Der Bestand gelangte im Rahmen zweier Teilablieferungen ins Staatsarchiv. Während sich die erste Ablieferung nicht genauer datieren lässt, erfolgte die zweite Ablieferung im Frühling 2008 durch ehemalige Vertreter der ARNA, welche die Vereinsunterlagen dem Staatsarchiv St.Gallen als Geschenk überliessen. Die archivinterne Erschliessung erfolgte in den Jahren 2020/21.
Form und Inhalt:
Der vorliegende Bestand lässt sich inhaltlich grob in drei Teile gliedern: Einerseits dokumentiert der Bestand die gleichbleibende Arbeit des Vereins und seiner Organe (Vorstand, Hauptversammlung, Administration) während dessen hauptsächlicher Aktionsphase von 1989 bis 1993. Andererseits lässt sich ein Grossteil der Unterlagen zwei verschiedenen Aktionsfeldern zuordnen: dem Widerstand gegen das eigentliche Bauprojekt in Neuchlen-Anschwilen (direkte Widerstandsaktionen, Interventionen bei Behörden, Demonstrationen etc.) sowie der Lancierung und Propagierung der Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär" bis zur Abstimmung im Juni 1993. Auffällig im Vergleich zu den "klassischen" Papierakten ist die grosse Menge an audiovisuellen Materialien (Bilder, Videos) und dokumentarischen Unterlagen. Während Bilder und audiovisuelle Medien v.a. die direkten, aufsehenerregenden Widerstandsaktionen in und um Neuchlen-Anschwilen dokumentieren, lässt sich anhand der umfangreichen Pressedokumentationen die Diskussion um den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen und die Volksinitiative von 1989 bis 1993 nachverfolgen. Ergänzend hinzu kommen Akten und Publikationen von unterstützenden und gegnerischen Organisationen wie etwa der "Interessengemeinschaft für sinnvolle und glaubwürdige militärische Ausbildungsplätze in der Ostschweiz" (ISGA) sowie Plakate, Flugblätter und Werbeobjekte.
Bewertung und Kassation:
Die abgelieferten Unterlagen wurden vor dem Hintergrund der archivinternen Richtlinien des Staatsarchivs St.Gallen bewertet. Insbesondere wurden im Rahmen der Erschliessung Mehrfachexemplare aus dem Bestand kassiert.
Ordnung und Klassifikation:
Die systematische Ordnung der Unterlagen, wie sie sich bei der Ablieferung darstellte, wurde nach Möglichkeit beibehalten. Die weitere Strukturierung des Bestandes erfolgte in drei Teilen: Widerstand und Protestaktionen gegen den Bau des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen, Eidgenössische Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär" (diese beiden Kategorien wurden auch bei der Ordnung deraudiovisuellen Materialien herangezogen) und Übergreifendes bzw. Allgemeines zum Verein ARNA. Damit soll berücksichtigt werden, dass die ARNA zwar als "klassischer" Verein strukturiert war, ihre Aktivitäten jedoch fast ausschliesslich auf das Thema Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen und die damit verknüpften Themenfelder konzentrierte. Punktuell wurden bereits bestehende Dossiers mit Unterlagen aus Sammelablagen wie der Zeitungsdokumentation ergänzt. Generell wurden die Unterlagen nach Möglichkeit den drei "Grossthemen" zugeordnet. So war etwa die Tätigkeit der "Arbeitsgruppen" fast ausschliesslich auf die Vorbereitung und Durchführung der Abstimmungskampagne ausgerichtet. Das umfangreiche Handarchiv der "Medienstelle" wurde ebenfalls aufgelöst und den jeweiligen thematischen Serien zugeordnet (die ursprüngliche Provenienz ist jedoch jeweils vermerkt). Die oftmals undatierten und nur grob geordneten und beschrifteten Bilddokumente und Videos wurden v.a. anhand der Zeitungsdokumentation sowie der Aktions- und Einsatzchroniken von ARNA und Kantonspolizei nach Möglichkeit geordnet und datiert.
Schutzfrist
Zeitraumende
Schutzfristdauer
30 Jahre
Schutzfristkategorie
Sachakten (30 Jahre)
Ende der Schutzfrist
12/31/2023
Bewilligung
Staatsarchiv
Zugänglichkeit
Archivmitarbeiter/-innen
Physische Benutzbarkeit
Uneingeschränkt
Zugang zum Digitalisat (Link)
Archivbestand Ar 84 Arbeitsstelle Militär und Oekologie (amö) im Sozialarchiv
https://www.findmittel.ch/archive/archNeu/Ar84.html
Externe Ressourcen (Beschreibung)
Unterlagen der Arbeitsstelle Militär und Oekologie (amö) im Sozialarchiv in thematischen Dossiers, u.a. zu diversen Waffenplätzen und militärischen Anlagen in der ganzen Schweiz (darunter auch mit Unterlagen zum Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen).