Freisinnig Demokratische Partei des Kantons St.Gallen (FDPSG)
Title
Freisinnig Demokratische Partei des Kantons St.Gallen (FDPSG)
Reference Code / Identification number
W 353
Stage
Bestand
Period of origin
1859-2022
Type of item
Dokument , Bild , Film , Objekt , Noten (Musik)
Ausprägung
analog
digital
Laufmeter
39.85
Anzahl
1494
Contains
Parteigeschichte:
Obwohl die FDP St.Gallen ihre Ursprünge auf den im Oktober 1857 in der Stadt St.Gallen gegründeten "Liberalen Verein" zurückführt, besteht eine ungebrochene parteipolitische Organisation des st.gallischen Freisinns erst seit dem Jahr 1890. Dieser Gründung war die Wahl eines liberalen "Zentralkomitees" für den Kanton St.Gallen im Jahr 1871 vorausgegangen, das auf die Schaffung einer liberalen Kantonalorganisation hinwirken sollte. Mit der Einrichtung eines ständigen Sekretariates und der Änderung des Parteinamens von "Liberale Partei" zu "Freisinnig-demokratische Partei" im Jahr 1912 verfestigten sich allmählich die Strukturen der FDP St.Gallen.
Die Politik der FDP St.Gallen wurde lange Zeit von der Auseinandersetzung mit der Katholisch-Konservativen Volkspartei (später: CVP, heute: Die Mitte) geprägt. Zentral waren v.a. Konflikte um die Stärkung bzw. Zurückbindung des bürgerlichen Staates im Kampf gegen die konfessionellen Zuständigkeiten etwa im Erziehungswesen oder Eherecht. So hatte bereits einer der konkreten Anlässe für die Gründung des Liberalen Vereins im Jahr 1857 in den Bemühungen der Katholisch-Konservativen bestanden, die erst ein Jahr zuvor von den Konfessionen gemeinsam begründete "Vertrags-Kantonsschule" wieder aufzulösen. Diese Konfliktlinie zog sich noch bis in die 1960er-Jahre hin, als die FDP St.Gallen 1968 eine Initiative lancierte, welche die Verschmelzung der immer noch bestehenden konfessionellen Primarschulgemeinden erzwingen wollte. Die Initiative wurde schliesslich zugunsten eines grossrätlichen Gegenvorschlags zurückgezogen. Den Höhepunkt des parteipolitischen Konkurrenzkampfs mit der CVP bildeten die Jahre 1972 bis 1984, in denen die CVP über eine absolute Mehrheit im Grossen Rat verfügte und einen vierten Regierungsratssitz auf Kosten der FDP zu erobern versuchte.
Seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre erwuchs den etablierten bürgerlichen Parteien FDP und CVP sowohl auf der linken (Grüne) als auch auf der rechten (Autopartei, SVP) Seite des politischen Spektrums neue Konkurrenz. Besonders der enorme Erfolg der 1987 gegründeten Autopartei (Höhepunkt: 19 Sitze nach den Wahlen 1992) sowie der rasche Aufstieg der 1992 reaktivierten st.gallischen SVP forderten die FDP heraus, die sich während Jahrzehnten als integrierende Volkspartei der Mitte verstanden hatte, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Bäuerinnen und Bauern, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Angestellte und Gewerbetreibende in ihren Reihen vereinen konnte. Entsprechend waren Mitglieder der FDP St.Gallen immer wieder auch an ganz unterschiedlichen Positionen der politischen Debatte zu finden. So stammen aus ihren Reihen etwa die folgenden Persönlichkeiten:
- Ida Weber (1888-1977): Gründerin der ersten freisinnigen Frauengruppe der Schweiz (1922)
- Ruedi Schatz (1925-1979): Nationalrat, erster Präsident der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz (1970)
- Ira Stamm (geboren 1936): Fernsehmoderatorin, Präsidentin der FDP Frauen Schweiz (1983-1988)
- Hans Christoph Binswanger (1929-2018): Wirtschaftswissenschaftler, Professor an der Hochschule St.Gallen
- Erika Forster (geboren 1944): erste Präsidentin des St.Galler Stadtparlaments (1982), erste St.Galler Ständerätin (1995), Präsidentin der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz (bis 2011)
- Federico Karrer (1934-2022): Gründer der Auto-Partei St.Gallen
- Albert Schwarzmann (1938-2017): Gründer der SVP St.Gallen
Liberale Politiker bzw. Mitglieder der FDP waren seit der Gründung des Kantons St.Gallen ununterbrochen an dessen Regierung sowie an seiner Vertretung in der Bundesversammlung beteiligt (mit wenigen Unterbrechungen auch im Ständerat). Die prozentuale Stärke der FDP bei eidgenössischen und kantonalen Wahlen nahm dabei in der Tendenz jedoch ab. Konnte die FDP St.Gallen bei den ersten eidgenössischen Proporzwahlen 1919 noch mit fünf Sitzen in den Nationalrat einziehen, schwankt der Anteil seit den 1990er-Jahren zwischen einem und zwei Sitzen. Bei Kantonsratswahlen erhielt die FDP zeitweise bis zu einem Drittel der Stimmen (letztmals 1964) - seit Mitte der 1980er nahm dieser Anteil schrittweise auf knapp 18 Prozent ab (Resultat der Kantonsratswahlen 2020; bei den kantonalen Wahlen 2024 fiel der Wähleranteil der FDP St.Gallen auf 15.7 Prozent). Bisher konnte die FDP St.Gallen drei Vertreter und eine Vertreterin im Bundesrat stellen:
- Wilhelm Naeff (1848-1875)
- Arthur Hoffmann (1911-1917)
- Karl Kobelt (1940-1954)
- Karin Keller-Sutter (seit 2019)
Verwendete Literatur:
- Freisinnig-Demokratische Partei St.Gallen (Hrsg.): Vom Liberalen Verein zur modernen FDP. Geschichte des St.Galler Freisinns 1857-1982, St.Gallen 1982.
Bestandesgeschichte:
Die Basis des Bestandes bildet ein umfangreiches Depositum (90 Zügelschachteln, darin u.a. Akten, Bilder, AV-Medien und Objekte aus dem Zeitraum 1887-1992), das die Kantonalpartei im Oktober 1997 dem Staatsarchiv übergab. Im Zuge der Ablieferung wurden die Schachteln grob verzeichnet. In den Jahren 2004 und 2012 gelangten weitere Teilablieferungen ins Staatsarchiv, u.a. zusätzliche Unterlagen der Kantonalpartei bis ins Jahr 2000, Akten der Jungliberalen Bewegung sowie der Bezirkspartei Rorschach.
Nach der Umwandlung des Depositums in eine Schenkung im Jahr 2019 begann die detaillierte Bewertung und Erschliessung der bis dahin abgelieferten Unterlagen. Noch während des laufenden Erschliessungsprojektes konnte ergänzend der grösste Teil (v.a. bis 2012) des analogen Restarchivs (seit 2018 nur noch digital geführt) der Kantonalpartei ins Staatsarchiv übernommen werden. Ebenfalls bereits während der laufenden Erschliessung erfolgte durch Elisabeth Zwicky-Mosimann eine Ablieferung von Unterlagen der FDP Frauen St.Gallen (früher: Forum freisinniger Frauen), umfassend den Zeitraum seit der Gründung 2004 bis ins Jahr 2021, sowie ergänzend eine Schachtel mit Unterlagen der Bezirksfrauengruppe Rorschach, umfassend den gesamten Zeitraum von der Gründung bis zur Auflösung (1971-1997). Zudem lieferte der ehemalige Präsident der Arbeitsgruppe Liberale Politik, Eduard Kobelt, 1998 und 2022 jeweils diverse Unterlagen dieser der FDP nahestehenden Gruppierung ab, die bei der Erschliessung ebenfalls in den Bestand integriert wurden.
Form und Inhalt:
Obwohl die eigentliche Kernüberlieferung der FDP-Kantonalpartei (u.a. Leitungsorgane und Fachausschüsse, Tagungen und Versammlungen, Kantonsratsfraktion sowie Wahlen und Abstimmungen) mengenmässig die Basis des Bestandes bildet, weisen die Unterlagen insgesamt dennoch eine grosse inhaltliche Vielfalt auf. So dokumentiert der Bestand nicht nur die Tätigkeit der FDP-Parteiorganisationen auf der Ebene der Gemeinden und Regionen des Kantons St.Gallen, sondern gibt darüber hinaus auch einen Einblick in die Geschichte der zahlreichen der Partei nahestehenden Organisationen (u.a. Frauengruppen, Freisinniger Presseverein, Freisinnige Wohnbaugenossenschaft, Arbeitsgruppe Liberale Politik).
Von den zwischen 1857 und 1890 bestehenden Vorgängerorganisationen der FDP St.Gallen haben sich nur wenig bis gar keine Unterlagen erhalten – eine (weitgehend) lückenlose Überlieferung zur Kantonalpartei setzt wohl nicht ganz zufällig erst mit der Schaffung eines ständigen Parteisekretariats im Jahr 1912 ein. Ausnahmen sind ein Protokollbuch des liberalen Zentralkomitees (1887-1889), ein Dossier mit diversen Unterlagen des Parteipräsidenten von 1905-1916, Albert Mächler (umfassend den Zeitraum 1887-1912), sowie die ältesten Protokollbücher der Stadt- und Bezirkspartei St.Gallen und der Ortspartei Tablat (jeweils beginnend im Jahr 1894).
Auf der Ebene der Orts- und Regionalparteien (ehemals "Bezirksparteien") stellt sich die Überlieferungssituation sehr unterschiedlich dar. Da das Sekretariat der Stadt- und Bezirkspartei St.Gallen, gewissermassen als Dienstleistung, ebenfalls vom Parteisekretär der Kantonalpartei geführt wurde, enthält der Bestand im Staatsarchiv St.Gallen diesbezüglich ungleich mehr Unterlagen als aus den anderen Regionen des Kantons.
Bewertung und Kassation:
Die abgelieferten Unterlagen wurden vor dem Hintergrund der archivinternen Richtlinien des Staatsarchivs St.Gallen bewertet. Infolgedessen wurden im Rahmen der Erschliessung v.a. Mehrfachexemplare und Belege aus dem Bestand kassiert. Eine inhaltliche Auswahl wurde in denjenigen Fällen getroffen, wo sich entweder Überschneidungen mit anderen Beständen im Staatsarchiv St.Gallen ergaben oder grössere Mengen an reiner Belegkorrespondenz vorlagen. So wurden etwa bei der Mitgliederadministration diejenigen Briefe zur Archivierung ausgewählt, welche eine politische Begründung der jeweiligen Ein- oder Austritte enthielten.
Bei den Akten der Gross- bzw. Kantonsratsfraktion wurden v.a. Unterlagen zu den Fraktionssitzungen sowie die Berichte der FDP-Delegationen in den Kommissionen archiviert, während in den Protokollbänden des Kantonsrates (bzw. im Ratsinformationssystem) überlieferte und greifbare Dokumente wie Vorstösse und Berichte kassiert wurden. Auf dieselbe Weise wurden auch die Unterlagen der Gemeinderatsfraktion der FDP der Stadt St.Gallen bewertet. Da bei Vernehmlassungsverfahren die individuellen Vernehmlassungsantworten in der Regel nicht archiviert werden, wurden diese, soweit vorhanden, ebenfalls im Bestand belassen. Aus den Unterlagen betreffend eidgenössische, kantonale und städtische Wahlen wurden v.a. provisorische Aufstellungen über Wahlergebnisse sowie Unterschriftenbogen zu den Wahlvorschlägen kassiert.
Unterlagen der Landespartei und anderer Kantonalparteien wurden in denjenigen Fällen übernommen, wo es sich um programmatische oder organisatorische Dokumente ohne Parallelüberlieferung im Bundesarchiv und/oder mit Relevanz für die Kantonalparteien handelte (etwa im Falle von Nationalratswahlen) oder in den Dossiers zusätzliches Material oder Stellungnahmen der FDP St.Gallen vorhanden waren (v.a. Delegiertenversammlungen der FDP Schweiz).
Ordnung und Klassifikation:
Die insgesamt über 100 Jahre umfassenden Unterlagen, die seit 1997 sukzessive an das Staatsarchiv abgeliefert wurden, weisen zwar erkennbare inhaltliche Grundlinien auf (Leitungsorgane, Versammlungen, Kantonsfraktion, politische Geschäfte wie Wahlen und Abstimmungen etc.), die sich über die Jahrzehnte verfolgen lassen. Dennoch hatte sich in dieser Zeit, abgesehen von einem v.a. in den 1930er- und 1940er-Jahren verwendeten Aktenplan, keine systematische Ablage etabliert. Oftmals waren die Unterlagen zwar grob nach Gremien, Gruppen oder Themen geordnet, innerhalb der einzelnen Ordner jedoch lediglich chronologisch und ohne Register abgelegt. In anderen Fällen (v.a. Korrespondenz) lagen serielle Ablagen vor, die entweder chronologisch oder alphabetisch nach Adressatinnen und Adressaten geordnet waren.
Während die Gremien- und Themenordner wo möglich v.a. hinsichtlich ihrer "internen" Ordnung verfeinert wurden (z.B. Herstellung von Sitzungszusammenhängen (Einladung, Protokoll, allfällige Beilagen) bei Leitungsorganen), wurden chronologische oder alphabetische Korrespondenzablagen fallweise aufgelöst und nach thematischen Gesichtspunkten neu geordnet oder zur Vervollständigung bestehender (u.a. W 353/17.6) oder Erstellung neuer Dossiers (u.a. W 353/04.1.1-2) herangezogen. In Fällen, wo eine zunächst chronologische Ablage im Laufe der Zeit thematisch ausdifferenziert wurde (z.B. Freisinnige Wohnbaugenossenschaft), wurden die älteren Unterlagen nach Massgabe der späteren Ordnung bei der Erschliessung teilweise neu geordnet. Die teilweise rein chronologischen, ungeordneten Ablagen etwa der Frauengruppe St.Gallen oder der Stadt- und Bezirkspartei St.Gallen wurden zwecks besserer Übersichtlichkeit jeweils neu geordnet.
Bei der Ordnung des Bestandes wurde das Provenienzprinzip nach Möglichkeit eingehalten. Davon abgewichen wurde in denjenigen Fällen, wo eine eher thematisch orientierte Ordnung einer grösseren Übersichtlichkeit und Benutzbarkeit dient (z.B. Zusammenfassung sämtlicher Frauengruppen in einer Serie anstatt einer Aufteilung auf verschiedene Teilbestände).
Term of protection
Zeitraumende
Protection period
30 years
Schutzfristkategorie
Sachakten (30 Jahre)
End of protection period
12/31/2052
Authorisation
Staatsarchiv
Accessibility
Archivmitarbeiter/-innen
Physical usability
Uneingeschränkt